in: Telepolis 20.05.2002

Ist eine Tätigkeit in der Friedensbewegung verfassungskonform?

Der Freistaat Bayern hat Zweifel und forderte eine Lehrerin zur Stellungsnahme auf, die während der israelischen Belagerung im Hauptquartier Arafats war

von: Dirk Eckert | Veröffentlicht am: 20. Mai 2002

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„Tätigkeit in organisierten Friedensbewegungen“ heißt das neue Delikt, weswegen in Bayern die Behörden tätig werden. So geschehen im Fall von Sophia Deeg, einer Lehrerin aus München. Deeg hatte sich Ende März bis Anfang April als Friedensaktivistin während der israelischen Belagerung im Hauptquartier von Palästinenserpräsident Jassir Arafat in Ramallah aufgehalten, das sie als „Symbol der palästinensischen Autonomie“ schützen wollte (Skrupel oder Tabus scheinen keine Rolle mehr zu spielen).

Zurück in München trat Deeg am 12. April auf einer Demonstration „Solidarität mit Palästina“ von Attac München und dem Palästinensischen Studentenverein auf. Daraufhin meldete sich die Regierung von Oberbayern bei ihr. Betreff: „Ihre Tätigkeit als Friedensaktivistin“. Aus „Zeitungsberichten“ habe die Behörde von dem Aufenthalt bei Arafat, von der Münchner Demonstration und Deegs Mitgliedschaft bei Attac erfahren.

„Wir fordern Sie hiermit vor dem Hintergrund der Vereinbarkeit dieser Tätigkeit mit der Verfassungstreue zum Freistaat Bayern zur Stellungnahme auf“, so ein Regierungsinspektor wörtlich. „Insbesondere bitten wir um Mitteilung, in welchem der genannten oder in diesem Zusammenhang noch darüber hinaus gehenden Organisationen Sie Mitglied sind, welche Zielsetzungen diese Organisationen verfolgen und mit welchen anderen Organisationen diese ggf. in Verbindung stehen. Ferner bitten wir Sie uns mitzuteilen, auf welchen Umfang sich Ihre Aktivitäten in oder außerhalb der genannten Organisationen erstrecken.“

In einem zweiten Schreiben begründete die Regierung Oberbayern ihr Vorgehen: „Insbesondere in sicherheitspolitisch angespannten Zeiten, in denen auch die Mitgliedschaft in ausländisch oder weltweit organisierten Bewegungen verstärkt Einzug in die eingehende Prüfung der Verfassungstreue bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst nehmen musste, bringt es bereits die Tätigkeit in organisierten Friedensbewegungen mit sich, nähere Einkünfte hierüber einzuholen.“

Deeg hatte bereits nach dem ersten Schreiben die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eingeschaltet. Georg Wiesmeier, der Landesvorsitzende der GEW in Bayern, traute kaum seinen Augen, als er das Schreiben aus dem Regierungspräsidium sah. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Regierung von Oberbayern eine ernsthafte Beantwortung dieser merkwürdigen Fragen von Frau Deeg erwartet“, schrieb er an den Regierungspräsidenten Werner-Hans Böhm. Als er auf ein zweites Schreiben hin keine Antwort bekam, ging er wie angedroht an die Presse, am 16. Mai machte die Frankfurter Rundschau den Fall publik.

Gegenüber Telepolis verteidigte Stephanie Weber, die stellvertretende Pressesprecherin der Regierung Oberbayern, das Vorgehen der Behörde. Diese müsse prüfen, ob die Lehrer zu „Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung“ (FDGO) stehen. Im konkreten Fall seien die Medienberichte Anlass für die Überprüfung gewesen. Weshalb aber ein Engagement bei Attac Anlass zur Überprüfung der Verfassungstreue ist, konnte Weber nicht beantworten. Und was sind die „organisierten Friedensbewegungen“? Einzelne Formulierungen seien „nicht ganz glücklich“, räumte Weber ein. Ebenfalls keine Auskunft wollte sie auf die Frage geben, was passiert, falls Deeg die Fragen nicht zur Zufriedenheit der Regierung Oberbayern beantwortet.

Für den GEW-Landesvorsitzenden Wiesmeier gibt es nur eine akzeptable Lösung: Die Regierungsschreiben werden für gegenstandslos erklärt. „Wenn das der Gerhard Polt aufführen würde, würde das kaum jemand glauben“, kommentierte er das Vorgehen der Regierung Oberbayern. „Unglaublich, wie da versucht wird, Menschen einzuschüchtern“, sagt Deeg. Sie vermutet, die Behörde wolle im Vorfeld des Bush-Besuches in Berlin die Antiglobalisierungsbewegung kriminalisieren. „Im Zuge der kriegerischen Hegemonialpolitik der USA werden auch bei uns die Bürgerrechte eingeschränkt.“

Originaltext: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12578/1.html