In: DeutschlandRadio-Online, 23.03.2002

Eine Lange Nacht von den anderen Gesichtern Israels und Palästinas – Teil I

Vielleicht sind wir am Ende doch Brüder

von: Dolores Bauer / Dokumentation / Pressebericht | Veröffentlicht am: 23. März 2002

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Die Welt kennt oft nur dies: das martialische Gesicht Israels, das sich in Bomben, Raketen, Panzern und Bulldozern ausdrückt und das terroristische Gesicht Palästinas, das durch junge Männer verkörpert wird, die als lebende Bomben den israelischen Alltag in Angst und Schrecken versetzen. Es gibt aber auch die anderen Gesichter der beiden Völker: In Israel das Gesicht der Friedensaktivisten, die seit Jahren und Jahrzehnten die eigene Regierung kritisieren und eine Rückgabe der besetzten Gebiete, die Auflösung der israelischen Siedlungen und eine Lösung für die Flüchtlinge und die heikle Frage Jerusalem fordern; In Palästina das Gesicht einer gewaltfreien Bevölkerung, das Gesicht von Männern, Frauen und vor allem Kindern, die unter dem Druck der Besatzung leiden, ein Überleben in Gerechtigkeit und Würde fordern und oft nicht wissen, woher das tägliche Brot für morgen kommen soll. Diese anderen Gesichter kennt die Welt kaum. In einer Langen Nacht wollen wir sie kennen lernen: Auf israelischer Seite sollen u.a. Uri Avnery – Träger des Alternativen Nobelpreises 2001 – und seine Friedensbewegung Gush Shalom, und von der Friedensgruppe Ta´ajush zu Wort kommen. Die palästinensische Seite soll durch zwei Frauen, die Biologin und Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Nasser und die Theologin Viola Raheb vertreten sein. Reportagen aus der Zeit nach Oslo sorgen für den historischen Rahmen.

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Verleihung des alternativen Friedensnobelpreises an Uri Avnery http://www.nahost-politik.de/ friedensbewegung/nobelpreis.htm

In: Jüdische Portraits Photographien und Interviews von Herlinde Koelbl Neuausgabe. Mit 80 s/w-Abbildungen S. Fischer Verlag HK: Herr Avnery, die Weltgeschichte der letzten fünfzig Jahre hat aus Helmut Ostermann in Beckum/Westfalen Uri Avnery in Tel Aviv gemacht. Hat es in Ihrer Kindheit schon ein jüdisches oder ein zionistisches Element in der Familie gegeben? UA: Meine Familie ist deutsch-jüdisch. Meine Großeltern väterlicherseits waren ziemlich orthodox. Bei meiner Großmutter, die ich nie gekannt habe, war, glaube ich, sogar die Küche koscher. Bei uns nicht. Mein Großvater war ein jüdischer Lehrer in Beckum, darum wohnte unsere Familie überhaupt dort. Er war so eine Art halber Rabbiner. In diesen kleinen Gemeinden, die keine eigenen Rabbiner hatten, gab es immer jemanden, der ein Halbrabbiner war. In diesem Sinne waren meine Wurzeln jüdisch. Meine Eltern waren aber nicht religiös. Sie gingen nur noch an den großen Feiertagen in die Synagoge. Ich selbst war in Deutschland vielleicht jedes Jahr zweimal in der Synagoge. Mein Vater war zionistisch, von Jugend auf, ich weiß nicht warum. Es war seine Art, sich für etwas zu begeistern. Noch vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland Zionist zu sein, war wirklich etwas Außergewöhnliches. Die deutschen Zionisten damals, so wie die amerikanischen Zionisten heute, haben wirklich nicht davon geträumt, selbst nach Palästina zu gehen. 1933 ist dann unsere Familie emigriert. Wir waren vier Kinder. Alle anderen Verwandten sind ums Leben gekommen, Onkel, Tanten, Cousinen. Dass mein Vater so früh beschlossen hat, auszuwandem, zeigt natürlich, dass der Zionismus doch den Effekt gehabt hat, dass diese Leute früher gemerkt haben als andere, was wirklich passiert. Als mein Vater sich auf dem Polizeirevier abgemeldet hat, hat der Beamte gesagt: „Herr Ostermann, was fällt Ihnen eigentlich ein, Sie sind doch Deutscher wie wir.“ Aber nach dem ersten Angerempeltwerden hat mein Vater beschlossen: Wir wandern aus. Ich erinnere mich noch an die Diskussionen in der weiteren Familie. Die anderen, die sagten: „Du bist verrückt. Was hast du in der Wüste zu tun?“ Wir sind an meinem zehnten Geburtstag ausgewandert. Einen Monat später waren wir hier. Pünktlich an meinem achtzehnten Geburtstag habe ich meinen Namen geändert. Eher war es nicht möglich, denn es galt noch britisches Gesetz, im Mandatsgebiet. Bomben haben wir schon mit fünfzehn geschmissen, aber erwachsen waren wir erst mit achtzehn. Weiterlesen unter: http://www.nahost-politik.de/friedensbewegung/avnery.htm

Uri Avnery, Preisträger des Remarque-Friedenspreises von 1995 Bedrohungen im Kriege gehen von Menschen aus, die dann als „Feinde“ gelten. Der Haß auf den Feind perpetuiert den Krieg, indem er die Frage nach den wirklichen Ursachen der Gewalt und damit auch den Dialog verhindert. Weiterlesen: http://www.remarque.uni-osnabrueck.de/avnery.htm

Interviewausschnitt mit Uri Avnery

Pflüger: Welche Möglichkeiten gibt es denn für friedensorientierte Basisgruppen hierzulande und in Europa auf der palästinensischen und der israelischen Seite Basisgruppen zu unterstützen, praktisch von Initiativen zu Initiativen?

Avnery: Es gibt sehr viele Möglichkeiten, vor allem Friedensorganisationen auf beiden Seiten finanziell zu unterstützen, materiell zu unterstützen aber auch moralisch zu unterstützen. Man kann auch heute noch in der heutigen sehr sehr schwierigen Situation Friedensorganisationen unterstützen, in dem man in Deutschland oder in Europa überhaupt Konferenzen abhält, zu denen Israelis und Palästinenser eingeladen werden, um die Punkte zu diskutieren, die für eine erneute Friedensbemühung wichtig sind, z.B. die Flüchtlingsfrage, z.B. die Frage Jerusalems, die Frage der Siedlungen usw. Auf diesem Gebiet können europäische Institutionen vieles leisten, obwohl es in diesem Augenblick sehr sehr schwer ist, es ist in diesem Augenblick für Palästinenser sehr schwer sich mit Israelis zu treffen, weil in einem Zustand eines nationalen Freiheitskampfes solche Sachen schwer sind. Man braucht viel Mut dazu, aber es gibt viele mutige Palästinenser, es gibt auch mutige Israelis und ich glaube man könnte sehr viel tun, um diese Gruppen in Israel und Palästina moralisch und materiell zu unterstützen.

Pflüger: Gut, welche?

Avnery: Die Organisation zu der ich gehöre, Gush-Shalom, bekommt Unterstützungen aus Holland und manchen anderen Staaten, aber so gut wie keine Unterstützung aus Deutschland. Deutschland hat alle möglichen Stiftungen, die alle möglichen offiziellen Organisationen unterstützen, aber nicht die wirklichen Friedensbewegungen. Überhaupt nicht.

Pflüger: Häufig ist ja auch das Problem des Konfliktes Israel/Palästina, dass die Leute nicht wissen, wo sie sich informieren sollen, über welche Presseorgane, wo im Internet. Was würden Sie denn empfehlen, was Menschen ausserhalb Israels über diesen Konflikt lesen sollen?

Avnery: Es ist sehr schwer in Europa wirkliche unabhängige Informationen zu bekommen. Das Bild in allen europäischen Medien – ausnahmslos – ist geprägt von israelischer Propaganda. Wie in Israel selbst ist es äusserst schwer ein wirkliches und unabhängiges Bild zu bekommen. Wir bei Gush-Shalom haben eine Internetseite: http://www.gush-shalom.org und dort werden Sie auch die Adressen anderer Friedensorganisationen und Medien finden.

Pflüger: Gut, ich bedanke mich ganz herzlich. Ich hoffe, dass wir über „Wissenschaft und Frieden“ und über die „Informationsstelle Militarisierung“ etwas machen können für die Unterstützung Ihrer wichtigen Arbeit. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben und alles Gute für ihre Arbeit und die von Gush-Shalom.

Avnery: Alles Gute, Ihnen auch. Wiedersehen!

Das Interview mit Uri Avnery findet sich auch auf folgenden Homepages „Wissenschaft und Frieden“ http://www.iwif.de Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. https://www.imi-online.de (als HTML, RTF und PDF-Datei) Tobias Pflüger http://www.tobias-pflueger.de

Gush Shalom: Selbstdarstellung Gush Shalom ist die radikalste der israelischen Friedensbewegungen. Oft als „entschlossen“, „militant“, „radikal“ oder „konsequent“ bezeichnet, ist sie in Zeiten der Krise wie der al-Aksa Intifada bekannt für ihre unerschütterliche Position. Seit Jahren hat Gush Shalom eine führende Rolle sowohl bei der Definition der moralischen und politischen Vorgehensweise der Friedenskräfte in Israel wie auch beim Aufbrechen des auf Fehlinformation beruhenden sogenannten „nationalen Konsenses“ gespielt. Gush Shalom ist eine außerparlamentarische Organisation, die von jeder Partei oder anderen politischen Gruppierungen unabhängig ist. Manche ihrer Aktivisten gehören politischen Parteien an, aber der Gush ist an keiner bestimmten Partei ausgerichtet. (Gush Shalom = Friedensblock) aus: http://www.dbein.bndlg.de/themen/themen04/index.html http://www.gush-shalom.org/english/index.html

Aus: Süddeutsche Zeitung vom 31.Mai 1999 : Wie nach Rabins Tod Europas größter jüdischer Onlinedienst „haGalil“ entstand. „Jüdische Nostalgie ist in. Man hört gerne Klezmer-Musik, weil es sie nicht mehr gibt. Als es sie gab, wollte sie keiner hören.“ So Ignaz Bubis‘ düstere Diagnose auf die Frage nach einer neuen Blütezeit für das deutsche Judentum. Dennoch macht man gelegentlich ganz erstaunliche Entdeckungen, und das – von wegen Nostalgie – ausgerechnet in einem der modernsten Medien überhaupt: im Internet. Hier erschien vor etwa drei Jahren erstmals eine ausgewiesen jüdische Seite mit Namen haGalil, zu deutsch Galiläa. haGalil präsentierte sich in englischer Sprache und lieferte neben eigenen Texten vor allem Querverweise, so genannte Links, zu anderen Internetseiten, die sich mit Israel, jüdischer Religion, Kultur und Geschichte beschäftigen. Weiterlesen: http://www.hagalil.com/alenu/presse/sueddeutsche.htm

‚haGalil onLine’und der ‚Fördervereins haGalil e.V.‘ http://www.hagalil.com/

Verzeichnis aller Dateien unter nahost-politik.de aus dem Archiv des jüdischen Onlinedienstes „haGalil: http://www.nahost-politik.de/

Israelische Demonstranten zogen zum belagerten Haus Arafats Arafat: „Araber und Israelis sind Vettern“ Ramallah – Rund 300 Israelis der Bewegung „Ta’Ajush“, die sich für ein Zusammenleben von Israelis und Arabern einsetzt, sind am Samstag zum Sitz von Palästinenserpräsident Yasser Arafat gezogen. http://jet2web.net/jet2web/FE/LayoutTemplates/ FE_Layout/1,2840,1002-1-234298-0,00.html

Sumaya Farhat-Nasser Die Palästinenserin wurde 1948 geboren und wuchs in der Nähe von Jerusalem auf; sie besuchte ein deutsches Internat unweit Bethlehem. Nach dem Abitur studierte sie an der Universität Hamburg Biologie, Geographie und Erziehungswissenschaften und promovierte in angewandter Botanik. Weiterlesen: http://www.djds.de/i055.htm

Gleichberechtigter Frieden ist die einzige Alternative Warum Sumaya Farhat-Nasser trotz vieler Rückschläge die Hoffnung nicht aufgibt von Christian Vogg Ihr Sohn wurde während der Intifada von israelischen Soldaten angeschossen, saß dann lange im Gefängnis. Ihre Wohnung wurde mehrfach durchsucht, das Mobiliar dabei zerstört. Sie sah mit an, wie Nachbarn, Freunde, Verwandte zu Tode geprügelt wurden. Sumaya Farhat-Nasser, Biologieprofessorin aus Bir Zeit, hat die jüngere palästinensische Geschichte hautnah erlebt. Diese Erlebnisse haben sich, sagt sie, tief in ihre Seele eingegraben. Trotz allem hat sie nicht resigniert. Im Gegenteil. Sie kämpft – gewaltlos aber wortgewaltig – für den Frieden, für einen gleichberechtigten Frieden. Mit ihrem „Jerusalem Center for Women“ wirkt Farhat-Nasser nach innen in die palästinensische Gesellschaft. Gleichzeitig bestehen wichtige Kontakte zur israelischen Seite. Dabei zeigt sich immer wieder, wie groß das gegenseitige NICHT-Verstehen noch ist. Weiterlesen: http://www.wdr5.de/morgenecho/serien/palaestinafolge4.phtml

The Jerusalem center for Women http://www.j-c-w.org/

Sumaya Farhat-Naser Thymian und Steine Lenos Verlag, Basel 2000 ISBN: 3857876573 Als Botschafterin der palästinensischen Sache ist sie zu einem Begriff geworden: Sumaya Farhat-Naser. Sie kommentiert am Radio politische Entwicklungen, im Fernsehen und an Veranstaltungen tritt sie als unpolemische Zeugin und engagierte Frauenvertreterin auf. In ‚Thymian und Steine‘ erzählt sie ihre Lebensgeschichte, die 1948, im Jahr der israelischen Staatsgründung beginnt. Wie ein Schatten wird die Leidensgeschichte des palästinensischen Volkes ihr Leben begleiten – ein Leben, das in seiner emanzipatorischen Ausrichtung exemplarisch ist für den Weg einer jüngeren palästinensischen Frauengeneration.

Sumaya Farhat-Naser Verwurzelt im Land der Olivenbäume. Eine Palästinenserin im Streit für den Frieden. Hrsg. v. Dorothee Wilhelm, Manuela Reimann u. Chudi Bürgi. 2002. 280 S. 20 cm. Gebunden.

Die offizielle Homepage der Palästinensischen Autonomiebehörde http://www.pna.org/

Die israelische Friedensbewegung Peace Now http://www.peacenow.org.il/

Israels Sicht auf den Palästinakonflikt besagt: Jassir Arafat ist das zentrale Problem. Mit dem „Kampf gegen den Terror“ hat es aber nichts zu tun, wenn Israel dessen Hubschrauber bombardiert, ihn in Ramallah festhält und nicht an der Weihnachtsmesse in Bethlehem teilnehmen lässt. Den gegenwärtigen israelischen Maßnahmen gegen Arafat ging ein arroganter und paternalistischer Diskurs über den „Charakter von Arafat“ voraus. Wir, die Israelis, nehmen uns die Freiheit, einen politischen Führer seines Amtes zu entheben und ihn durch einen anderen zu ersetzen.

Dieser arrogante Diskurs gipfelt in dem paternalistischen Argument, dass „wir wissen, was für die Palästinenser besser ist“. Als Folge plädiert jeder Flügel des israelischen politischen Spektrums für einen Führer, der seinen speziellen Zwecken am besten dienen würde. Die „Moderaten“ in der Regierung ziehen einen Moderaten vor – einen, der als Geschäftsmann gekleidet ist und der sich nach rationalen westlichen Manieren zu benehmen weiß. Die Extremisten hätten gern einen Hamas-Typen, der ihnen als Vorwand für einen offenen und blutigen Krieg gegen das „palästinensische Böse“ dienen würde. Beiden Lagern gemeinsam ist die Annahme, dass die Last der drückenden Probleme allein auf Arafats Schultern liege, während Israel gleichzeitig seiner eigenen Verantwortung ausweichen könne. Ignoriert wird, dass die israelische Regierung Arafat und seine Sicherheitskräfte nicht bekämpfen und gleichzeitig erwarten kann, dass diese wirksam gegen islamische Extremisten im Autonomiegebiet vorgehen. Weiterlesen: http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/ regionen/Israel/grinberg.html

http://www.israel.de/

Auswahl – Literaturliste

Uri Avnery stellt für den israelischen Friedensblock Gusch Schalom achtzig Thesen für einen gelingenden Friedensprozess auf

In der angesehenen israelischen Zeitung Haaretz ist vor kurzem auf einer Seite ein Thesen-Papier des israelischen Friedensblocks Gusch Schalom erschienen. Verfasser der 80 Thesen ist Uri Avnery, Mitbegründer von Gusch Schalom. Der auch in Deutschland bekannte und vielfach geehrte Avnery wurde 1923 in Beckum geboren und emigrierte 1933 nach Palästina. Avnery erhielt u.a. den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück und wird dort am 10. Mai an einer Diskussion der alljährlichen Osnabrücker Friedensgespräche teilnehmen. Wir dokumentieren Auszüge aus den Thesen, die Ernst Herbst und Ellen Rohlfs übersetzten. Avnery autorisierte den Text.

Die Wurzel des Konflikts

(…) 12. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist die Fortsetzung des historischen Zusammenpralls zwischen der zionistischen Bewegung und dem palästinensisch-arabischen Volke, ein Zusammenprall, der am Ende des 19. Jahrhundert begann und noch immer kein Ende gefunden hat.

13. Die zionistische Bewegung war im Wesentlichen eine jüdische Reaktion auf die nationalen Bewegungen in Europa, die alle den Juden gegenüber feindlich gesinnt waren. Nachdem sie von den europäischen Nationen abgelehnt worden waren, entschieden einige Juden, sich selbst als Nation zu konstituieren und, nach dem neuen europäischen Modell, ihren eigenen Nationalstaat zu gründen, in dem sie Herr über ihr eigenes Schicksal sein könnten. Das Prinzip der Trennung, das die Basis der zionistischen Idee bildet, hatte später weitreichende Folgen. Das grundlegende zionistische Dogma, wonach eine Minorität, nach europäischem Modell, nicht in einem national homogenen Staat existieren könne, führte später zur praktischen Ausgrenzung der nationalen Minderheit im zionistischen Staat, der 50 Jahre später Wirklichkeit wurde.

14. Traditionelle und religiöse Gründe brachten die zionistische Bewegung nach Palästina (Hebräisch: Erez Israel ) und es wurde entschieden, in diesem Land einen jüdischen Staat zu gründen. Die Losung lautete: „ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“. Diese Losung wurde nicht nur aus Unkenntnis geprägt, sondern auch auf Grund der allgemeinen Arroganz gegenüber nicht-europäischen Völkern, die zu jener Zeit in Europa vorherrschte.

15. Palästina war nicht leer – weder zum Ende des 19. Jahrhunderts noch zu irgend einer anderen Zeit. Zu jener Zeit lebte eine halbe Million Menschen in Palästina, 90 Prozent davon waren Araber. Diese Bevölkerung war natürlich gegen das Eindringen eines anderen Volkes in ihr Land.

16. Die arabische Nationalbewegung entstand fast gleichzeitig wie die zionistische Bewegung, anfänglich um gegen das türkisch-osmanische Reich und nach dessen Zerstörung am Ende des Ersten Weltkrieges gegen die Kolonialmächte zu kämpfen. Eine eigene arabisch-palästinensische Nationalbewegung entwickelte sich im Land, nachdem die Briten einen separaten Staat gegründet hatten, den sie Palästina nannten, und infolge des Kampfes gegen das Eindringen der Zionisten.

17. Seit Ende des Ersten Weltkrieges gab es eine zunehmende Auseinandersetzung zwischen den beiden Nationalbewegungen, der jüdisch-zionistischen und der palästinensisch-arabischen, und beide trachteten danach, im selben Land ihr Ziel zu verfolgen – das den andern völlig außer Acht ließ. Diese Situation blieb unverändert bis zum heutigen Tag.

18. Als in Europa sich die Verfolgung der Juden intensivierte und die Länder der Welt ihre Tore für jüdische Einwanderer, die dem Inferno zu entkommen versuchten, schlossen, gewann die zionistische Bewegung an Stärke. Der Holocaust, dem sechs Millionen Juden zum Opfer fielen, verlieh der zionistischen Forderung, nämlich nach Errichtung des Staates Israel, moralische und politische Macht.

19. Das palästinensische Volk, das die Zunahme der jüdischen Bevölkerung in seinem Land beobachtete, konnte nicht einsehen, warum von ihm der Preis für die von Europäern an Juden begangenen Verbrechen gefordert wurde. Heftig wehrte es sich gegen weitere jüdische Einwanderung und gegen weiteren Landerwerb durch Juden.

20. Die totale Leugnung, durch beide Völker, der nationalen Existenz des anderen führte unvermeidlich zu einer falschen und verzerrten Wahrnehmung, die im kollektiven Bewusstsein beider tiefe Wurzeln schlug. Diese Wahrnehmung beeinflusst ihre Haltung zueinander bis auf den heutigen Tag. (…)

Unabhängigkeit und Katastrophe

26. Der Kontrast der beiden nationalen Geschichtsauffassungen gipfelte im Krieg von 1948. Von den Juden wurde dieser „Unabhängigkeitskrieg“ oder gar „Befreiungskrieg“ genannt, von den Arabern „al-Nakba“, die Katastrophe.

27.Mit der Zunahme des Konflikts in der Region und unter der Nachwirkung des Holocaust entschieden die Vereinten Nationen, das Land in zwei Staaten zu teilen, einen jüdischen und einen arabischen. Jerusalem und seine Umgebung sollte einen Sonderstatus erhalten unter internationaler Aufsicht. Den Juden waren 55 Prozent des Landes einschließlich des dünn besiedelten Negev zugeteilt.

28. Die zionistische Bewegung akzeptierte den Teilungsplan, davon überzeugt, dass es das Wichtigste war, eine feste Basis für jüdische Souveränität zu schaffen. In geschlossenen Sitzungen hat David Ben Gurion nie seine Absicht verhehlt, bei der nächsten Gelegenheit, das den Juden gegebene Land zu erweitern. Deshalb definiert Israels Unabhängigkeitserklärung nicht Israels Grenzen und der Staat hat bis heute keine festgelegten Grenzen.

29. Die arabische Welt akzeptierte den Teilungsplan nicht und betrachtete ihn als einen nichtswürdigen Versuch der Vereinten Nationen, (die damals ein Klub von westlichen und kommunistischen Staaten war), ein Land zu teilen, das ihnen nicht gehörte. Da man den größten Teil des Landes der jüdischen Minderheit übergab, die nur ein Drittel der Bevölkerung ausmachte, machte die Sache in ihren Augen noch weniger entschuldbar.

30. Der Krieg, der nach dem Teilungsplan von den Arabern begonnen wurde, war zwangsläufig ein „ethnischer“ Krieg, eine Art von Krieg, in dem jede Seite versucht, so viel Land als möglich zu erobern und die Bevölkerung der Gegenseite zu vertreiben. Eine solche Kampagne (die später „ethnische Säuberung“ genannt wurde) ist immer mit Vertreibung und Gräueltaten verbunden.

31.Der Krieg von 1948 war eine unmittelbare Fortsetzung des zionistisch-arabischen Konfliktes, bei der jede Seite versuchte, ihre Ziele zu erreichen. Die Juden wollten einen homogenen Nationalstaat errichten, der so groß wie möglich sein sollte. Die Araber wollten die zionistisch-jüdische Gemeinschaft vernichten, die sich in Palästina festgesetzt hatte.

32. Beide Seiten praktizierten ethnische Säuberung als integralen Bestandteil ihres Kampfes. Da blieben nicht viele Araber in den von Juden eroberten Gebieten, und kein Jude blieb in den von Arabern eroberten Gebieten. Da jedoch die von Juden eroberten Gebiete bei weitem größer waren als die von Arabern eroberten, war das Ergebnis keineswegs ausgeglichen. (Die Idee eines Bevölkerungsaustausches und „Transfer“ war in den zionistischen Organisationen schon in den 30er Jahren aufgekommen. Tatsächlich bedeuten sie die Vertreibung der arabischen Bevölkerung aus dem Land. Auf der andern Seite waren viele Araber der Meinung, dass die Zionisten dorthin zurückgehen sollten, wo sie hergekommen waren. (. . .)

„Ein jüdischer Staat“

37. Die Unterzeichnung der Waffenstillstandsvereinbarungen am Ende des 1948er-Krieges brachte kein Ende des historischen Konfliktes. Im Gegenteil, dieser wurde auf eine neue und intensivere Ebene gehoben.

38. Der neue Staat Israel widmete seine frühen Jahre der Konsolidierung seines homogenen nationalen Charakters als „jüdischer Staat“. Große Teile des Bodens wurden enteignet – von den „Abwesenden“ (den Flüchtlingen) und von denen, die offiziell als „abwesend Anwesende“ bezeichnet wurden. (Araber, die zwar physisch in Israel geblieben waren, die aber nicht Bürger des Landes werden durften.) Enteignet wurde sogar der größte Teil des Bodens der arabischen Bürger Israels. Auf diesen Ländereien wurde ein dichtes Netzwerk jüdischer Siedlungen geschaffen. Jüdische Immigranten wurden eingeladen oder sogar veranlasst, in Massen zu kommen. Dieser große Aufwand vergrößerte die Macht des Staates in nur wenigen Jahren um ein Mehrfaches.

39. Zur selben Zeit führte der Staat nachdrücklich eine Politik zur Auslöschung der palästinensischen Gemeinschaft als eine nationale Entität. Mit israelischer Hilfe übernahm der transjordanische König Abdullah die Kontrolle über das Westjordanland und seitdem gibt es praktisch eine israelische militärische Garantie für die Existenz des Königreichs Jordanien.

40. Der Hauptgrund für die Zusammenarbeit zwischen Israel und dem Hashemitischen Königreich, die über drei Generationen andauert, war die Verhinderung des Entstehens eines unabhängigen arabisch-palästinensischen Staates, der – damals wie heute – als ein wesentliches Hindernis für die Realisierung der zionistischen Ziele betrachtet wurde und wird.

41. Gegen Ende der Fünfziger Jahre ereignete sich auf palästinensischer Seite ein historischer Wandel, als Yassir Arafat und seine Mitstreiter die Fatah-Bewegung gründeten, die die palästinensische Befreiungsbewegung aus der Vormundschaft der arabischen Regierungen führen sollte. Es war kein Zufall, dass diese Bewegung nach dem Scheitern des großen panarabischen Konzepts entstand, dessen bekanntester Vertreter Gamal Abd el Nasser war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten viele Palästinenser gehofft, in eine vereinigte all-arabische Nation aufgenommen zu werden. Als diese Hoffnung dahinschwand, erwachte die eigene palästinensische Nationalidentität aufs Neue.

42. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) wurde von Gamal Abd el Nasser geschaffen, um selbstständige palästinensische Aktionen zu verhindern, die ihn in einen unerwünschten Krieg mit Israel hätte hineinziehen können. Die Organisation sollte die ägyptische Herrschaft über die Palästinenser sichern. Doch nach der arabischen Niederlage im 1967-Krieg übernahm die von Yassir Arafat geführte Fatah die Kontrolle über die PLO, die seither die einzige Vertreterin des palästinensischen Volkes ist.

„Der Sechs-Tage-Krieg“

43. Der Juni-Krieg 1967 wird – wie jedes Ereignis der vergangenen 120 Jahre – von beiden Seiten in sehr verschiedener Weise gesehen. Nach israelischem Mythos war es ein verzweifelter Verteidigungskrieg, der dem Staat Israel wunderbarerweise eine Menge Land bescherte. Nach palästinensischem Mythos tappten die Ägypter, Syrer und Jordanier in eine von Israel gestellte Falle, um all das zu erbeuten, was von Palästina noch übrig war.

44. Viele Israelis glauben, dass der „Sechs-Tage-Krieg“ die Wurzel allen Übels ist und dass erst zu diesem Zeitpunkt das friedliebende und fortschrittliche Israel sich in einen Eroberer und Besatzer verwandelte. Diese Überzeugung erlaubt den Israelis, die Idee der absoluten Unschuld des Zionismus und des Staates Israel bis zu diesem Zeitpunkt aufrechtzuerhalten und ihre alten Mythen zu bewahren. Diese Legende entspricht aber nicht den Tatsachen.

45. Der Krieg von 1967 war eine neue Phase des alten Kampfes zwischen den zwei Nationalbewegungen. Er änderte nichts am Wesentlichen. Er änderte nur die Umstände. Die wesentlichen Ziele der zionistischen Bewegung, ein jüdischer Staat, Expansion und Besiedelung machten große Fortschritte. Die besonderen Umstände dieses Krieges machten eine umfassende „ethnische Säuberung“ unmöglich. Aber mehrere Hunderttausende Palästinenser wurden trotzdem vertrieben.

46. Israel waren im Teilungsplan von 1947 55 Prozent des Landes (Palästina) zugesprochen worden; zusätzliche 23 Prozent wurden im 1948er-Krieg erobert und nun noch die verbliebenen 22 Prozent – jenseits der „Grünen Linie“ (der Waffenstillstandslinie von vor 1967). So wurde 1967 – unbeabsichtigt – das palästinensische Volk unter Israels Herrschaft wieder vereinigt, einschließlich eines Teils der Flüchtlinge.

47. Kaum war der Krieg beendet, begann die Siedlungsbewegung. Fast jede politische Gruppe des Staates beteiligte sich daran – von der messianisch-nationalistischen „Gusch Emunin“ bis zu den „Linken“ der Vereinigten Kibbuz-Bewegung. Die ersten Siedler erhielten breite Unterstützung von Seiten der meisten Politiker, von linken und rechten, von Yigal Alon (jüdische Siedlung in Hebron) bis Schimon Peres (Kdumin Siedlung). (. . .)

51. Der Generalstab der israelischen Armee spielte bei der Planung und beim Bau der Siedlungen eine bedeutende Rolle. Er zeichnete die Karte der Siedlungen (Ariel Scharon): Blöcke von Siedlungen und Umgehungsstraßen, der Länge und der Breite nach, so dass das Westjordanland und der Gaza-Streifen zerstückelt sind und die Palästinenser in isolierten Enklaven eingesperrt werden, von denen jede von Siedlungen und der Besatzungsarmee umzingelt ist.

52. Die Palästinenser nutzten verschiedene Methoden des Widerstandes, hauptsächlich Überfälle von Jordanien und dem Libanon aus sowie Angriffe innerhalb Israels und überall in der Welt. Diese Aktionen werden von den Israelis als „terroristisch“ bezeichnet, während die Palästinenser in ihnen den legitimen Widerstand einer Nation unter Besatzung sehen. Die Führung der PLO, geleitet von Yassir Arafat, wurde von den Israelis lange Zeit als eine terroristische Führung angesehen, aber nach und nach wurde sie international als die „einzig legitime Vertretung“ des palästinensischen Volkes anerkannt.

Teil II folgt unter: https://www.imi-online.de/2002.php3?id=140