Bundeswehr abschaffen statt Wehr-Dienstpflicht für Alle!


von: Arno Neuber | Veröffentlicht am: 28. Februar 2002

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Seit im Mai 1999 die Weizsäcker-Kommission (Wehrstruktur-Kommission) ihren Bericht über die Zukunft und den Umbau der Bundeswehr vorgelegt hat, ist im bürgerlichen Lager die Diskussion über eine Berufsarmee oder die Beibehaltung der Wehrpflicht nicht mehr abgerissen.

Wehrpflichtige als Rekrutierungspotential

Gegenwärtig wird die Wehrpflichtoption sowohl von der SPD, als auch von der CDU favorisiert. Auch der größte Teil der Bundeswehrführung ist für die Beibehaltung der Wehrpflicht.

Dafür geben zwei Argumente den Ausschlag:

Erstens soll die Bundeswehr „der Größe und Bedeutung unseres Staates entsprechen.“ Als außenpolitisches Instrument soll sie „der Verstärkung des Gewichts Deutschlands“ im globalen Rahmen dienen. Dazu hat die Bundeswehr sowohl der NATO als auch der künftigen europäischen Eingreiftruppe bestimmte Truppenkontingente zugesagt. Die Bundeswehr ist „einer der Hauptträger der Partnerschaft für den Frieden“, einer „NATO-Mitgliedschaft light“, mit der die ehemaligen sozialistischen Länder Europas incl. der ehemaligen Sowjetrepubliken (außer Russland) in das kapitalistische Militärbündnis einbezogen werden. Schließlich soll die Bundeswehr auch noch für nationale Kommandoaktionen und Interventionen im Rahmen von „ad-hoc“-Koalitionen bereit stehen. Die für all das notwendige zahlenmäßige Stärke der Armee lässt sich nur über die Wehrpflicht aufrechterhalten. (Zitate aus: Admiral a.D. Wellershoff: Dauerthema Wehrpflicht, FAZ 28.8.2000)

Zweitens rekrutiert die Bundeswehr einen erheblichen Teil ihrer Zeit- und Berufssoldaten aus dem Kontingent der Wehrpflichtigen (rund 40 Prozent). „Dies macht die entscheidende Bedeutung der Wehrpflicht für die qualitative und quantitative Personalbedarfsdeckung sichtbar.“ Da der „Arbeitsplatz Bundeswehr“ unter einer „zu geringen Attraktivität“ leidet, bleibt „aus Sicht der Nachwuchsgewinnung der Erhalt der Wehrpflicht unverzichtbar.“ (Bestandsaufnahme des Verteidigungsmnisteriums, Mai 1999)

Die Befürworter einer Abschaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht im bürgerlichen Lager sind Verfechter einer professionellen Interventionsarmee, die mehr auf High-tech-Waffen, als auf eine zahlenmäßig umfangreiche Armee setzen.

Zur vieldiskutierten Frage der Kosten von Wehrpflicht- und Berufsarmee gibt es eine Reihe von gegensätzlichen Analysen aus Instituten und Einrichtungen, die der Bundeswehr nahestehen.

Am überzeugendsten ist eine Untersuchung, die die Vorläuferin der Weizsäcker-Kommission bereits 1972 erarbeitet hat. Gesamtwirtschaftlich gesehen ist danach eine Berufsarmee billiger, wenn man aber nur die Kosten betrachtet, die rein aus dem Rüstungsetat bezahlt werden müssen, sind sie bei der Wehrpflichtarmee geringer.

Wehrpflicht abschaffen genügt nicht – Bundeswehr abschaffen!

Für Antimilitaristen ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen und sich nicht zu verzetteln. Weder ist die Wehrpflichtarmee die „demokratischere“ Armee, noch hat ihre Abschaffung etwas mit Friedenspolitik zu tun. Die Wehrpflichtarmee Bundeswehr ist bereits heute bei einem Gesamtumfang von 303.000 Soldaten im Kern eine Armee aus 188.000 Berufs- und Zeitsoldaten. Zukünftig soll in einer insgesamt verkleinerten Truppe (277.000) der Anteil der „Profis“ sogar noch auf 200.000 steigen. Und diese Wehrpflichtarmee ist bereits heute von Mazedonien bis Afghanistan und zur arabischen Halbinsel Interventionsarmee. Dieser Kurs wird in Zukunft noch forciert werden. Die Bundeswehr als außenpolitisches Instrument zur Aufrechterhaltung der imperialistische Weltordnung und zur Sicherung und Vergrößerung des deutschen Einflusses in dieser Ordnung – das ist es, was unseren Widerstand herausfordert. Es geht also nicht um die Scheinalternative Wehrpflicht- oder Berufsarmee, es geht um die Behinderung, wenn nicht Verhinderung des Aggressionskurses des deutschen Militarismus und Imperialismus. Und – wenn es nach uns geht – um die Abschaffung der Armee.

Wehrpflicht und deutscher Militarismus

Die Wehrpflicht spielte für den deutsche Militarismus in der Vergangenheit allerdings eine große Rolle. Während immer neue Schülergenerationen den Standardsatz von der „Wehrpflicht als legitimes Kind der Demokratie“ lernen ist wieder einmal das wahr, was nicht in unseren Schulbüchern steht. „Allgemeine Wehrpflicht und Demokratie … sind in Deutschland Gegensätze gewesen“ fasst der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt seine Analyse der preussischen und deutschen Geschichte zusammen. 1814 eingeführt, leistete die Wehrpflicht den Herrschenden gute Dienste bei der Militarisierung der Gesellschaft. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde das Hilfsmittel Wehrpflicht genutzt, um das „Menschenmaterial“ zusammenzutreiben, das dann auf den Schlachtfeldern verheizt wurde. „Die allgemeine Wehrpflicht wirkte sich in Deutschland bis 1945 als Katalysator der gesellschaftlichen Militarisierung aus… Die Verstärkung des Nationalismus und völkischer Tendenzen sind ihr zuzuschreiben.“ (Messerschmidt a.a.O.)

Das Grundgesetz der BRD vom 23.5. 1949 kannte keine Wehrpflicht. Es gab auch keinerlei Aussage über eine deutsche Armee. Die kam erst mit der sogenannten „Wehrverfassung“ am 19.03.56 in das Grundgesetz und wurde gegen breiten und erbitterten innenpolitischen Widerstand regelrecht „durchgeprügelt“. Zu diesem Durchprügeln gehörte das Verbot einer Volksbefragungsaktion gegen die Remilitarisierung, die von einem breiten Spektrum getragen trotz Polizeiterror mehrere Millionen Unterschriften sammelte, das Verbot der FDJ und der KPD.

Militaristischer Zwangsapparat

Als ich Ende der 70er Jahre Wehrpflicht leisten musste, konnte ich selber sehen, wie weit das Etikett „Staatsbürger in Uniform“ von der Realität entfernt war. Die Wehrpflichtigen sind einem militaristischen Zwangsapparat unterstellt, ohne wirksame Rechte, ohne politische und gewerkschaftliche Interessenvertretung. Dazu nicht selten ehrgeizigen oder sadistischen Vorgesetzten und den entwürdigenden Ritualen sogenannter „Kameraden“ ausgeliefert. Der Wehrdienst spielt sich auch heute noch häufig in einer Grauzone von Chauvinismus und Neonazismus ab. Antisemitische Sprüche, Wehrmachtslandkarten an den Wänden und Nazireliquien in den „Grusekabinetten“ namens „Traditionszimmern“, Nazibücher in der Truppenbibliothek und alte Wehrmachtssongs beim Geländemarsch, Reichskriegsflaggen auf den Stuben und die Bestellkataloge von einschlägigen Neonaziverlagen, die überall herumliegen – das alles ist auch heute Alltag n den Kasernen. Und die vielbeschworene „Kameradschaft“, die angeblich „beim Bund“ erfahren wird, ist in der Regel nichts anderes, wie feiges Mitläufertum.

Was der Wehrbeauftragte des Bundestages alljährlich an „Einzelfällen“ von Schikanierungen zusammenträgt ist erschreckend, aber es ist nur die Spitze des Eisberges. Die meisten Wehrpflichtigen versuchen ihre Dienstzeit irgendwie rumzukriegen, ohne „aufzufallen“. Wer es wagt, sich zu beschweren, hat mit Repression zu rechnen oder er wird als unglaubwürdiger „Stänkerer“ verunglimpft. Dennoch werde jährlich allein 100 bis 200 neonazistische Vorfälle und Übergriffe bei der Bundeswehr an den Wehrbeauftragten gemeldet. Allerdings in der Regel nur die, die von einfachen Soldaten begangen werden. Auch das, was Antimilitaristen seit längerem wissen, musste der Wehrbeauftragte in seinem letzten Bericht jetzt bestätigen: Eine Truppe, die immer häufiger in den Einsatz zieht, wird immer attraktiver für Neonazis.

Militär-Dienstpflicht für Alle?

Bundeswehr-Chef Kujat hat für das Frühjahr eine „Prüfschleife“ angekündigt, um eventuelle Korrekturen beim Bundeswehrumbau vornehmen zu können. In dieser Situation wird die Diskussion über die Wehrpflicht in der politischen Kaste wieder verstärkt geführt. Die Militaristen sind außerdem genervt von immer neuen Rekordzahlen von Kriegsdienstverweigerern. Unter dem Eindruck weltweiter Kriegseinsätze der Bundeswehr haben im vergangenen Jahr 181.420 Männer von ihrem Grundrecht Gebrauch gemacht. Besonders bei Reservisten und bereits Einberufenen ist die Zahl der Antragsteller überproportional angestiegen. Neben den bekannten Standpunkten gibt es daher jetzt auch Vorschläge für „eine intelligente Weiterentwicklung der Wehrpflicht“, wie die vom stellv. Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Thomas Kossendey (CDU). Und die geht so: „Verteidigung stellt zunehmend eine gesamtstaatliche bzw. gesamtgesellschaftliche Angelegenheit dar, die weit über die Zuständigkeiten eines Ressorts hinausgeht.“ Daraus wird dann der Schluss gezogen: „Worum es geht, ist die Rekrutierungsmöglichkeit für Fachleute aller Art, von Kämpfern an der Waffe bis hin zu Experten für Computersicherheitsschutz und Ärzten und Sanitätspersonal mit dem Spezialgebiet Seuchenmedizin . Wehrpflicht und Dienst an der Waffe sind daher nicht mehr synonym. Damit entfielen auch manche Gründe für die Wehrdienstverweigerung. Jeder muss (und kann!) seinen Beitrag zur gesamtstaatlichen Aufgabe der Verteidigung und des Schutzes leisten.“