Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

leicht geändert auch in: antimilitarismusinformation

Wie der Artikel 87a in das Grundgesetz kam

"Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." So steht es noch immer in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland (Art. 87 a). Kaum zu glauben, angesichts weltweiter Bundeswehreinsätze von Mazedonien bis Kenia, von Afghanistan bis Kuwait.

Arno Neuber (27.02.2002)

Tatsächlich kam der Artikel 87a erst mit der sogenannten „Wehrverfassung“ am 19.03.56 in das Grundgesetz . (1)

Bis dahin beinhaltete das Grundgesetz überhaupt keine Aussage über eine bundesdeutsche Armee. Dagegen gab es bereits den Art. 4 Abs. 3 „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“

Verankert war im Verfassungstext von 1949 auch das Verbot eines Angriffskrieges und das Verbot, „das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“ (Art. 26 Abs. 1). „Sicherheit erwartete sich das ursprüngliche Grundgesetz … in erster Linie von einem ‚System gegenseitiger kollektiver Sicherheit‘; das Grundgesetz verpflichtet den Bund, im Falle seiner Einordnung in ein solches System gegenseitiger kollektiver Sicherheit ‚in Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einzuwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern‘ (Art. 24 Abs. 2 GG).“ (2)

Bereits 1954 wurde allerdings „ein Artikel 142a in das Grundgesetz hineingeschrieben, wonach die an sich verfassungswidrigen Verträge über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft von 1952, die später dann ja scheiterte, den Bestimmungen des Grundgesetzes nicht entgegenstehen.“ (3)

Die Grundgesetzänderung von 1956 durch die „Wehrverfassung“ wurde gegen breiten und erbitterten innenpolitischen Widerstand regelrecht „durchgeprügelt“.

Zu diesem Durchprügeln gehörte das Verbot einer Volksbefragungsaktion gegen die Remilitarisierung, die von einem breiten Spektrum getragen trotz Polizeiterror mehrere Millionen Unterschriften sammelte. Insgesamt wurden 7.321 AktivistInnen der Volksbefragungsaktion verhaftet. Es gab 1.000 Gerichtsverfahren. Der Sekretär des Hauptausschusses, Oskar Neumann, wurde zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt.

Zu diesem Durchprügeln gehörte die Legende von der kommunistischen Unterwanderung der antimilitaristischen Bewegung und das Verbot der FDJ in Westdeutschland, nachdem 1951 Mitglieder der Falken, der Gewerkschaftsjugend, der FDJ und der Katholischen Jugend die Insel Helgoland, die als Bombenabwurfplatz der britischen und der US-Luftwaffe vorgesehen war und zerstört werden sollte, besetzt hatten. Großdemonstrationen gegen die Wiederbewaffnung in Düsseldorf, Bonn und Hannover wurden von der Polizei zusammengeknüppelt

Am 11.5.52 ging die Polizei brutal gegen die 30.000 TeilnehmerInnen der „Friedenskarawane der Jugend“ in Essen vor. Zwei Antimilitaristen wurden von Polizisten angeschossen und schwer verwundet, der junge Philipp Müller von einem Polizeibeamten hinterrücks erschossen.

Als am 27.2.55 der Bundestag die Pariser Verträge, den Beitritt der BRD zur NATO, beschloss, geschah dies, obwohl die Paulskirchen-Bewegung innerhalb von nur drei Wochen mehrere hunderttausend Unterschriften gegen die „Aufstellung deutscher Streitkräfte in der Bundesrepublik und in der Sowjetzone“ gesammelt hatte. Am Tag der Abstimmung bezeichnete der CDU-Außenminister von Brentano im, von tausenden Polizisten abgeschirmten, Bundestag jeden Remilitarisierungsgegner als „Narr oder Verbrecher“. (4)

Der Artikel 87a, den wir heute in der Friedensbewegung zur Argumentation gegen den Umbau der Bundeswehr zur Interventionstruppe heranziehen, stellt also eigentlich eine erste schwere Niederlage der Friedensbewegung der frühen Bundesrepublik dar. Dass damals ausdrücklich von „Verteidigung“ und von nichts anderem die Rede war, ist gleichzeitig dieser Bewegung und der Stimmung in der Bevölkerung geschuldet. Heute hat die Friedensbewegung allen Grund, den Artikel, gegen den sie einst kämpfte, gegen alle Versuche zu verteidigen, deutsche Militärpolitik ohne Grenzen und Begrenzungen zu betreiben.

1.Vergleiche z.B.: Lorenz Knorr: Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Deutsches Militär von Massenmördern geprägt?, Frankfurt/M. 1998, Seite 49.

2. Udo Mayer: Remilitarisierung und die antimilitaristische Struktur des Grundgesetzes, in: Mayer, Stuby: Das lädierte Grundgesetz. Beiträge und Dokumente zur Verfassunsgeschichte 1949 – 1976. Köln 1977.

3. Prof. Dr. Martin Kutscha: Weltweiter Bundeswehreinsatz in der Verfassungsdiskussion, in: Verfassung statt Grundgesetz. Zur Diskussion über eine neue Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Bonn, 1991.

4. Lorenz Knorr: Geschichte der Friedensbewegung in der Bundesrepublik. Köln 1983.

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