in: Neues Deutschland 11.01.02

Washington bremst die Bundeswehr aus

USA sehen in ISFA-Truppe Behinderung ihrer Kriegführung in Afghanistan - von Rainer Rupp

von: Dokumentation / Rainer Rupp | Veröffentlicht am: 12. Januar 2002

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Hinter der wiederholten Verzögerung des Fluges eines Vorauskommandos deutscher Soldaten nach Afghanistan steckt mehr als nur Wetterkapriolen und Inkompetenz im Verteidigungsministerium. Zwar wurde das Wetter auch gestern wieder dafür verantwortlich gemacht, dass die beiden deutschen Transportmaschinen auf dem Flughafen Trabzon bei Istanbul festsaßen und den Soldaten am Donnerstag angeblich „Ausbildung im Hotel befohlen“ war. Tatsächlich aber verdichten sich die Hinweise, dass sich auch in diesem Fall die Bundesregierung mit Informationen über die wahren Gründe zurückhält – aus Rücksicht auf ihre US-amerikanischen Freunde, und weil sie Gefahr läuft, sich selbst der Lächerlichkeit preiszugeben, wenn herauskommt, dass Washington an der raschen Ankunft der deutschen Soldaten, die Kanzler Schröder den USA regelrecht aufgedrängt hat, gar nicht besonders interessiert ist. Auch in hiesigen Medien wird in dieser Sache vornehme Zurückhaltung an den Tag gelegt. Man findet allenfalls versteckte Hinweise auf die tatsächlichen Probleme vor Ort. So wird davon gesprochen, dass der Flugplatz von Bagram bei Kabul als „Flaschenhals“ des Unternehmens gilt, weil die Verhältnisse dort eine Landung nur unter Sichtbedingungen zuließen. Jede einzelne Landung müsste zudem von den Briten freigegeben werden, die das Kommando der Afghanistan-Schutztruppe (ISFA) führen – womit geschickt die Verantwortung für die Verzögerungen auf London abgewälzt wird. Gegen derartige Unterstellungen wehren sich jedoch die Briten, und sie haben keine Scheu, das Problem beim Namen zu nennen. Die renommierte „Times“ berichtete denn auch, dass der Grund für die starke Verzögerung der Ankunft der ISFA-Truppen darin liegt, dass „die Amerikaner bei der Benutzung des Flughafens Bagram Priorität für ihre offensiven Operationen haben“; weshalb es „noch viele Wochen“ dauern werde, bevor alle 4500 Soldaten aus 17 Ländern in Afghanistan eingetroffen sind. Selbst Großbritannien ist es bisher nicht gelungen, mehr als 380 Soldaten von insgesamt 1800 einzufliegen. Und London rechnet mit weiteren wochenlangen Verzögerungen. Eine merkliche Verbesserung wird erst eintreten, wenn der Internationale Flughafen von Kabul wieder geöffnet ist. Deshalb werden derzeit Überlegungen angestellt, ISFA-Soldaten in eines der Nachbarländer einzufliegen, um sie dann per Bus nach Kabul zu bringen. Derweil hing die deutsche Vorausabteilung in der Türkei fest und wartete angeblich auf „bessere Wettervorhersagen“. Aber selbst dann – so heißt es aus dem Verteidigungsministerium – sei es denkbar, dass zunächst nur eine der beiden Herkules-Maschinen nach Kabul fliegen wird. Von vornherein sei vorgesehen gewesen, dass die erste Maschine der zweiten in einem gewissen zeitlichen Abstand folgt. Weshalb die Soldaten in einem türkischen Hotel „Ausbildung“ machen müssen. Da die USA derzeit ihre militärischen Basen in Afghanistan für einen längeren Aufenthalt im Land ausbauen, zusätzlich Kampftruppen heranführen und die US-amerikanische Militärführung ohnehin in der ISFA-Truppe eher einen potenziellen Faktor zur Behinderung ihrer eigenen politischen und militärischen Operationen im Land sieht, wird der „Engpass“ auf dem Flughafen Bagram für die Flüge europäischer Truppentransporter auf absehbare Zeit bestehen bleiben. Hinzu kommt, dass die USA gerade in den letzten Tagen die Bombardierung bestimmter Regionen Afghanistans wieder aufgenommen haben, trotz der vom UN-Sondergesandten Brahimi wegen der wachsenden Zahl ziviler Opfer (derzeit über 4000) zunehmend geäußerten Sorgen. Sie werde erst dann eingestellt, „wenn die USA ihre Ziele erreicht haben“, so erst kürzlich der neue Washingtoner Botschafter in Kabul ganz im Stil eines römischen Prokonsuls.

(ND 11.01.02)