Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI: Kanzlerkrieg und Kriegsermächtigung

(22.11.2001)

von Tobias Pflüger (IMI) * leicht gekürzt veröffenbtlicht in: SoZ – Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 22.11.2001, Seite 4 (vgl. http://www.soz-plus.de )

„Epochal“ nannte Bundeskanzler Gerhard Schröder die Entscheidung am Freitag 16.11. für den größten Kriegseinsatz, den die Bundesrepublik je beschlossen hat. An diesem einen Punkt ist Gerhard Schröder recht zu geben, die Entscheidung hat epochalen Charakter. Die Nachkriegszeit sei unwiederbringlich vorbei, sagte er in seiner Regierungserklärung vom 11.10.2001.

Die Verknüpfung der Kriegsermächtigung (es heißt im Beschlußtext tatsächlich „Ermächtigung“!) mit der Vertrauensfrage zeigt den Stellenwert der Frage nach Krieg und Frieden im Gegensatz zu allen anderen politischen Fragen auf.

Wenn es um die neue starke deutsche Rolle auf der Weltbühne geht, spielen „Nebensächlichkeiten“ wie die versprochene Senkung der Zahl der Erwerbslosen keine Rolle mehr.

Im November 1998 nach dem Vorratsbeschluß zum späteren NATO-Angriff auf Jugoslawien hatte ich einen – damals von vielen kritisierten – Artikel geschrieben mit der Überschrift: „Rot-grüne Kriegspolitik – oder am Anfang und Ende steht immer die Frage nach Krieg und Frieden“ (dokumentiert unter https://www.imi-online.de/2001.php3?id=211 ). Gerhard Schröder hat dies nun auf widerliche Art und Weise umgesetzt. Er ist der Kriegskanzler und es ist im Gegensatz zum Jugoslawienkrieg, den propagandistisch insbesondere Rudolf Scharping und Joschka Fischer bestritten haben, ein Kanzlerkrieg. Widerlich das Jubeln der rot-grünen Abgeordneten nach der gewonnenen Kriegsvertrauensfrage.

Wer jetzt noch von einem „Reformprojekt Rot-grün“ faselt, ist absolut unglaubwürdig. Es ist ein „Kriegsprojekt rot-grün“, drei Kriegseinsätze in drei Jahren rot-grün das ist bisher unübertroffen.

Da bei der Berichterstattung vollkommen in den Hintergrund getreten ist, was tatsächlich beschlossen wurde, im folgenden eine Analyse der Kriegsermächtigung:

Am 7.November beantragte die Bundesregierung eine „Ermächtigung zum Einsatz“ der Bundeswehr. Dies war der lange erwartete Beitrag der Bundesregierung zum als „Krieg gegen den Terror“ deklarierten Krieg zur Neusortierung der Weltordnung. Der Antrag der Bundesregierung hat es aus verschiedenen Gründen in sich: Im Beschluss wurde eine Kriegsermächtigung für 3900 Mann der Bundeswehr erteilt. Die offiziellen Angaben über das Bundeswehrkontingent sind wie folgt:

„Im Rahmen der Operation Enduring Freedom werden bis zu 3900 Soldaten mit entsprechender Ausrüstung bereitgestellt: ABC-Abwehrkräfte, ca. 800 Soldaten/Sanitätskräfte, ca. 250 Soldaten/Spezialkräfte, ca. 100 Soldaten/Lufttransportkräfte, ca. 500 Soldaten/Seestreitkräfte inkl. Seeluftstreitkräfte, ca. 1800 Soldaten/erforderliche Unterstützungskräfte, ca. 450 Soldaten.“

„Die Beteiligung mit deutschen Streitkräften an der Operation Enduring Freedom ist zunächst auf zwölf Monate begrenzt.“

„Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Art.6 des Nordatlantikvertrags, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nordostafrika sowie die angrenzenden Seegebiete. Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen.“

Die Bundesregierung will mit diesem Beschluss, der vom Bundestag verabschiedet werden sollte, eine umfassende Kriegsermächtigung mit einer nicht sehr genauen Truppenanforderung, mit einer Laufzeit von einem Jahr und einem völlig offen definierten Einsatzraum.

Geopolitische Neuordnung geplant

Der Bundestag sollte erwartungsgemäß die konkrete Hoheit über den Einsatz von Bundeswehrsoldaten an die Bundesregierung abgeben.

Der Einsatzraum der Bundeswehr ist bewusst sehr weiträumig gefasst und lässt praktisch alle Kriegsoptionen offen. „Kompensationseinsätze“ in den USA sind möglich. Mit den sehr offenen Begrifflichkeiten „Mittelasien“, „Nordostafrika“ und „Zentralasien“ kann alles gemeint sein: Ist damit der Irak doch Kriegsziel? Oder geht es jetzt um Somalia? Auch der Sudan und Libyen können unter diese geografische Beschreibung noch subsummiert werden. Was ist mit dem Kaukasus als Einsatzort deutscher Truppen? Mit der vagen geografischen Eingrenzung des möglichen Einsatzgebiets zeichnet sich ab, was weitere Ziele des von den USA und Großbritannien begonnenen Krieg sein könnten. Es ist spätestens jetzt klar, es handelt sich nicht um einen „Krieg gegen den Terror“, es geht den kriegsführenden Regierungen des Westens um eine geopolitische Neuordnung Mittel- und Zentralasien sowie Nordostafrikas mit militärischen Mitteln.

Sehr interessant ist die Formulierung der Kriegsbeteiligung „in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung.“ Was ist, wenn es keine anerkannte Regierung gibt, wie etwa in Somalia?

Eine Kriegsermächtigung auf vorläufig zwölf Monate zeigt auf, wie lange der Krieg mindestens dauern wird. Mit einem so offenen Kriegsmandat hat die Bundesregierung die Möglichkeit, die Bundeswehr mit allen möglichen konkreten Einsatzoptionen (von humanitärer Hilfe bis zum Bodentruppeneinsatz) in einem sehr offenen geografischen Umfeld einzusetzen.

Keine Sandkastenspiele mehr

Die Beschreibung der Truppenkontingente lässt vieles absichtlich offen. Doch ist manches für Militärkenner trotzdem klar (Quellen werden hier aus nachvollziehbaren Gründen nicht genannt).

Bei den „ABC-Abwehrkräften, ca. 800 Soldaten“ handelt es sich um zwei Kompanien des ABC- Abwehrbataillon sieben aus Höxter mit dem ABC-Spürpanzer Fuchs. Der Spürpanzer Fuchs, Exportschlager der deutschen Waffenindustrie, ist ein rollendes Labor. Es wird meistens hochgelobt, ist aber auch scharf kritisiert worden, so beim Nichtaufspüren von radioaktiver DU-Munition in Jugoslawien und im Kosovo. Dieses Aufspüren funktioniert nur, wenn der Panzer direkt über der kontaminierten Stelle steht. Auch die USA haben ABC-Spürpanzer, die aber besser ausgerüstet sind als die der Bundeswehr. Die deutschen ABC-Spürpanzer sollen auf dem Landweg via Türkei Richtung Kriegsgebiet gebracht werden. Möglicher Einsatzort ist Usbekistan, das Aufmarschgebiet der US-Truppen. Auch ein Rochadeeinsatz (Austausch mit US-Truppen) ist möglich.

„Sanitätskräfte, ca. 250 Soldaten“: Hierbei handelt es sich um einen sogenannten „Multi-Role- Transporter MedEvac“. Dies ist ein A310 mit medizinischem Spezialausbau; also ein fliegendes Kleinkrankenhaus. Stationierungsort ist der Kölner Flughafen. Ziel wird wohl sein, Kriegsverletzte aus dem Kriegsgebiet abzutransportieren und zwar wohl zuerst zu den US-Einrichtungen bei Frankfurt am Main. Eine spätere Einbeziehung bzw. ein Austausch mit weiteren Bundeswehr-Sanitätskräften ist nicht unmöglich. Offen bleibt noch, welche Rolle die vereinbarte zivil-militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr mit 68 zivilen Kliniken in Deutschland in diesem Zusammenhang hat. Eine Aktivierung einzelner dieser bereits vorangeschrittenen Vereinbarungen ist nicht völlig ausgeschlossen.

„Lufttransportkapazitäten im Umfang von bis zu 500 Soldaten“: Hierbei handelt es sich wohl um bis zu drei Transallflugzeuge der Bundeswehr, die unter Befehl des EUCOM (europäisches Oberkommando der US-Streitkräfte) Transporte vom US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein (Rheinland-Pfalz) mit Frachten zum türkischen NATO-Stützpunkt Incirlik fliegen sollen. Dies deutet auf einen möglichen Einsatz gegen Irak hin.

„Seestreitkräfte in einem Umfang von 1800 Soldaten“: Der umfangreichste Teil der Kriegsbeteiligung wird von der Marine gestellt. Angefragt sind nach Angaben des US-Militärs: ein Instandsetzungsschiff, zwei Fregatten, ein Aufklärungsschiff, ein Tanker, Seefernaufklärer „Breguet Atlantique“, ein Verband mit Schnellbooten, ein sogenannter Minensuchverband sowie zwei Hubschrauber „Sea King“. Der Einsatzraum der Marineeinheiten ist der Golf von Aden / das Horn von Afrika, es geht also wohl um die Absicherung von Schiffswegen zum Beispiel für Öltransporte über diese Route oder im weiteren Umkreis. Interessant ist die Teilnahme von „Verbindungsoffizieren für die Embargoüberwachung“. Soll hier die Bundeswehr am bisherigen Irak-Embargo teilnehmen? Ist ein Ersatz der US-Schiffe beim Irak-Embargo geplant? Werden neue Embargomaßnahmen gegen Irak oder Somalia geplant?

„‚Spezialkräfte'“ der Bundeswehr im Umfang von bis zu 100 Soldaten“: Aufgrund der unspezifischen Beschreibung handelt es sich hierbei nicht nur um Soldaten der Elitekampfeinheit „Kommando Spezialkräfte“ aus Calw, sondern auch – wohl im Austausch – um die KSK-light-Truppen der Division spezielle Operationen (DSO) mit Sitz des Stabs in Regensburg und den Luftlandebrigaden 31 in Oldenburg und 26 in Saarlouis. Für diese KSK- und DSO-Truppen könnte der Kriegseinsatz nicht nur riskant, sondern tödlich werden.

Bei allem Genannten bleibt aber die Frage offen: Welche Rolle sollen die Bundeswehrsoldaten spielen? Sichern sie die bombenden Truppen der Kriegspartner ab oder beteiligen sie sich in einer zweiten Phase selbst am direkten Krieg? Es ist alles möglich. Zumindest die KSK- und DSO-Truppen werden sich ziemlich sicher direkt am Krieg beteiligen.

Gegen diese Kriegspolitik ist insbesondere außerparlamentarisch Protest und Widerstand notwendig, umfassender Protest und Widerstand.

* Tobias Pflüger ist im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

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