Dokumentation: Der Störsender aus Katar

von: 20. November 2001

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Der starke Arm Amerikas reicht nicht weit genug, den arabischen TV-Sender Al Dschasira an die Leine zu nehmen. Frankfurter Rundschau 15.11.2001

Von Andrea Nüsse (Amman)

Die Berichterstattung des arabischen Nachrichtensenders Al Dschasira ist der US-Regierung seit dem 11. September ein Dorn im Auge. Zu Amerika-feindlich, lautet der Vorwurf. Von daher liegt der Verdacht nahe, dass die Bombardierung des Al Dschasira-Büros in Kabul kein Versehen war. Doch ob das Gebäude möglicherweise absichtlich von den USA zerstört wurde darüber mag der Geschäftsführer des arabischen Fernsehsenders, Mohammed Dschassim el Ali, nicht spekulieren. Er sagt lediglich, dass auch den Amerikanern bekannt gewesen sei, wo sich das Büro in Kabul genau befinde. Der Al Dschasira-Korrespondent Taysir Aluni hat Kabul nach dpa-Angaben kurz vor dem Bombardement verlassen. „Ich habe Warnungen erhalten, dass ich schleunigst die Stadt verlassen sollte“, soll Aluni demnach in einem Telefoninterview gesagt haben. Aber nicht nur Aluni scheint auf der Flucht zu sein. Journalisten, die mit den Kämpfern der Nordallianz in die afghanische Hauptstadt eingezogen waren, berichten laut Agenturen von einer regelrechten Jagd auf arabische Kollegen. Offenbar stehe für die Nordallianz jeder Araber in Kabul im Verdacht, ein Anhänger Osama bin Ladens und der Taliban zu sein.

Nach dem Einmarsch der Nordallianz in Kabul zeigte sich, wie sehr Al Dschasira das Bild stört, das US-amerikanische Sender vom Krieg zeichnen. Während sie vor allem Bilder von jubelnden Menschen zeigten und Männer, die sich den Bart rasieren, wiederholte der arabische Sender immer wieder die Bilder von Leichen, die in den Gräben liegen, sowie von Kämpfern der Nordallianz, die brutal auf unbewaffente Araber und mutmaßliche Taliban-Anhänger losgehen.

Die USA haben schon früh versucht, Druck auf Al Dschasira auszuüben. Anfang Oktober forderte Außenminister Colin Powell im Gespräch mit dem Emir von Katar, er möge den Sender ans Gängelband nehmen. Das wies der Herrscher jedoch zurück. Der Ärger der Amerikaner wuchs, als der kleine Sender die Videos Osama bin Ladens ausstrahlte. Außerdem schickte er wochenlang Bilder von afghanischen Zivilisten um die Welt, die durch amerikanische Bomben verletzt oder getötet wurden – denn Al Dschasira hatte als einziger Fernsehsender einen ständigen Korrespondenten in Kabul.

Bei CNN kommt die Linie der US-Regierung durch, die jeden Zweifel am Krieg gegen Afghanistan vermeiden will. So hat CNN-Direktor Walter Isaacson laut Washington Post die Anweisung gegeben, alle Bilder von verletzten oder getöteten Zivilisten in Afghanistan mit der Angabe zu versehen, dass „die Taliban die Terroristen beherbergen, die für den Tod von 5000 Unschuldigen verantwortlich sind“. Das ist wohl auch ein Ergebnis des „Gesprächs“ der Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten Condoleezza Rice mit den Chefs der amerikanischen Fernsehanstalten. Im Krieg findet einen Zensur eben doch statt. Dem Radiosender Voice of America hatte das US-Außenministerium noch vor Beginn der Luftschläge untersagt, ein Interview mit Taliban-Führer Mullah Omar auszustrahlen.

Doch der starke Arm Amerikas reichte nicht weit genug, um Al Dschasira an die Leine zu nehmen. Also verlieh die US-Regierung ihrem Ärger in Vorwürfen Ausdruck. Die Ausstrahlung der ungeschnittenen Videobotschaften Osama bin Ladens biete dem mutmaßlichen Terroristen ein Forum, um die Massen in der arabischen Welt gegen den Westen aufzuhetzen, kritisiert die Bush-Administration. Die ersten Botschaften bin Ladens unredigiert auszustrahlen, war zunächst relativ unumstritten. Wochenlang hatte die Welt nur die Anschuldigungen aus Amerika gehört, nun erstmals kam der Angeklagte zu Wort. Zwar hat sich bin Laden nicht zu den Anschlägen bekannt, aber der Al Qaeda-Sprecher Abu Ghaith hat doch indirekt Verantwortung übernommen, indem er weitere Anschläge ankündigte. Auch die Lobpreisungen Osama bin Ladens für die Taten waren für westliche Ohren enthüllend. So übernahmen alle Fernsehsender der Welt das Video in voller Länge und übersetzten die Rede bin Ladens.

Die Bedenken kamen erst später. Seither werden bin Ladens Statements in CNN nur noch im Rahmen eines redaktionellen Beitrags mit wenigen Originalzitaten gezeigt. Das ist eigentlich die journalistisch saubere Vorgehensweise, aber der Verdacht, dass dies doch eher aus patriotischen Gründen geschieht, ist begründet: Hat CNN doch das letzte Video vom 3. November so selektiv geschnitten, dass bin Ladens Forderung, die USA mögen Beweise für eine afghanische Verantwortung für die Anschläge vorlegen, unterging. Dafür wurde betont, bin Laden leugne seine Beteiligung an den Anschlägen nicht. Angesichts dieses vorauseilenden Gehorsams wirkt eine vollständige Ausstrahlung auch nicht viel parteiischer.

Bei Al Dschasira schien man sich diese Frage allerdings lange überhaupt nicht zu stellen. Das könnte einmal daran liegen, dass die vollständige Übertragung von Statements und Pressekonferenzen sowohl bei Al Dschasira als auch bei den anderen Weltnachrichtensendern CNN und BBC World absolut üblich ist. Der andere Grund für diesen Umgang mit bin Laden ist der kulturelle Hintergrund des Fernsehsenders. Er wird in der arabischen Welt für ein arabisches Publikum gemacht. Sein Erfolg liegt darin, dass er oppositionelle Stimmen zu Wort kommen läßt, welche die arabischen Regime am liebsten mundtot machen. Dazu zählen sowohl säkulare Intellektuelle als auch Islamisten. In der arabisch-islamischen Welt wird Osama bin Laden nicht als Terrorist angesehen – dafür haben die USA in den Augen der arabischen Welt bisher keine ausreichenden Beweise vorgelegt. Und in seinen politischen Analysen sagt er, was viele denken. Stichworte Palästina, Irak, Versagen der Vereinten Nationen. Auch sein Aufruf zum Religionskrieg schockiert
Angesichts der amerikanischen Bomben, die täglich auf Afghanistan fallen, nur noch wenige. Vielmehr werden seine Worte als Reaktion auf das amerikanische Vorgehen gesehen. Ein Sender wie Al Dschasira, der sich als Sprachrohr der arabischen Gesellschaften sieht, in denen sich zumeist keine Zivilgesellschaften entwickelnkonnten, lässt daher auch bin Laden zu Wort kommen. Neuerdings jedoch mit Einschränkungen, wie die arabische Tageszeitung Al Hayat vergangene Woche enthüllte. Angeblich wurde das jüngste Video von bin Laden zunächst den Amerikanern gezeigt, damit sie es auswerten und auf mögliche geheime Botschaften hin untersuchen können. Damit fallen die Vorwürfe in sich zusammen, der Sender verbreite Terroraufrufe.

Allerdings sendet Al Dschasira weiter, was der Sender als „politische Botschaft“ bin Ladens bezeichnet, welche in der arabischen Welt salonfähig ist. Damit vermitteln Al Dschasira und CNN jeweils ihre eigenen Versionen der Realität, die bestimmt werden vom Mehrheitskonsens in den jeweiligen Gesellschaften und manchmal durch Anweisungen der Regierungen.