Dokumentation: Zur Verhältnismäßigkeit einer Bombardierung Afghanistans durch die USA und Großbritannien als präventive Maßnahme gegen den Terrorismus

von: 16. Oktober 2001

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von Philipp Körblein, Rechtsanwalt in Schwabach und Vorsitzender der Jusos Nürnberg

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Redaktionelle Vorbemerkung:

RA Philipp Körblein hat – auf Bitten von Tobias Pflüger – folgende rechtspolitische Stellungnahme an IMI gesandt.

Hintergrund war sein Redebeitrag auf der außerordentlichen Landeskonferenz der bayerischen Jusos, auf der vor der Beschlußfassung eine Podiumsdiskussion mit Walter Kolbow, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Niels Annen, Juso-Bundesvorsitzender und Tobias Pflüger (IMI) stattfand. (vgl. https://www.imi-online.de/view.php3?text=77)

Auch das Ergebnis der Abstimmung sei hier noch verraten: Die bayrischen Jusos haben sich klar gegen den Krieg gegen Afghanistan und gegen eine deutsche Beteiligung ausgesprochen! Näheres unter http://www.jusos-bayern.de

Der Text ist eine rechtspolitische Stellungnahme, also sehr juristisch formuliert. Trotzdem meinen wir, daß der Text auch für Nichtjurist/inn/en sehr lesenswert ist. Dies insbesondere auch deshalb, weil immer behauptet wird, daß diejenigen, die diesen Krieg führen und unterstützen, das Recht auf ihrer Seite hätten. Dies ist nicht der Fall:

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Die Bombardierung Afghanistans durch Streitkräfte der USA und Großbritanniens seit dem 7.10.2001 wird vielfach damit gerechtfertigt, hierbei handele es sich nicht um einen Vergeltungsschlag oder Rache – dies ist vom Völkerrecht auch nicht vorgesehen -, sondern um eine Art präventiver Verteidigung gegen den Terrorismus.

Eine solche Verteidigung kann nach dem Völkerrecht grundsätzlich zulässig sein. In diese Richtung gehen auch entsprechende Entschließungen des UN-Sicherheitsrates im konkreten Fall.
Ohne auf die auch hier bestehenden völkerrechtlichen Problemlagen eingehen zu wollen, ist festzuhalten, daß auch solche präventive Verteidigungsmaßnahmen – wie grundsätzlich jegliches rechtsstaatliches Handeln – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen müssen.

Ist diese Maßgabe für ein rechtlich zulässiges Handeln im Fall der Bombardierung Afghanistans gewahrt?

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt zunächst, dass:

· Der verfolgte Zweck als solcher verfolgt werden darf,
· das eingesetzte Mittel als solches eingesetzt werden darf,
· der Einsatz des Mittels zur Erreichung des Zwecks geeignet ist,
· der Einsatz des Mittels zur Erreichung des Zwecks erforderlich ist und
· der Eingriff, bzw. die Beeinträchtigung, die der Eingriff für den einzelnen bedeutet, und der mit dem Eingriff verfolgte Zweck in einem recht gewichteten und wohl abgewogenen Verhältnis zueinander stehen (Angemessenheit oder Zumutbarkeit).

Geht man, entsprechend dem Vorgesagten, hier zunächst davon aus, dass der Zweck, eine präventive Selbstverteidigung gegen den Terrorismus, verfolgt werden, und das Mittel, Bombardierung von Ausbildungszentren, Aufenthaltsorten von Terroristen, Flughäfen, Infrastruktur, als solches eingesetzt werden darf, bleibt die Zweck-Mittel-Relation als eigentliche Verhälnismäßigkeitsprüfung.

Hier sind zunächst einige Annahmen erforderlich, die momentan letztlich nicht eindeutig verifiziert werden können. Hierzu gehört, dass davon ausgegangen werden muss, dass es durch die Bombardierung auch zu zivilen Opfern kommt und deren Zahl mit der Dauer des Abwurfs von Bomben auf Afghanistan und deren Anzahl steigt. Diese Annahme entspricht jedoch ersten Berichten und entsprechenden Erfahrungen aus vergleichbaren Einsätzen, etwa beim 2. Golfkrieg oder beim Kosovokrieg.
Weiter wird hier angenommen, dass eine andauernde Bombardierung in der islamischen Bevölkerung anderer Länder eher zu einer Solidarisierung mit Bin Ladens Organisation und den Taliban führt, und Terroristen eher neuen Nachwuchs zuführt als das Gegenteil zu bewirken. Diese Annahme entspricht ersten Berichten über gewalttätige Demonstrationen in islamischen Ländern und der Wahrscheinlichkeit. Gerade auch die Regierungen „des Westens“ selbst warnen vor einer gestiegenen Gefahr von Terrorakten seit des Beginns der Luftschläge.
Weiter ist hier die Annahme zu nennen, dass durch die Luftschläge in Afghanistan nicht sämtliche Terroristen getötet bzw. in anderer Weise „ausgeschaltet“ werden können; dass es vielmehr nur einige treffen wird und darüber hinaus bestenfalls ein Großteil der Infrastruktur terroristischer Vereinigungen in diesem Land zerstört wird. Auch diese Annahme entspricht schlicht der Wahrscheinlichkeit und wird, soweit ersichtlich, auch von der US Regierung nicht bestritten.

Zu prüfen ist daher zunächst die Geeignetheit der Bombardierungen (Mittel) zur Erreichung des Zweckes (Verteidigung gegen und Schutz vor Terrorismus). Diese ist gegeben, wenn der Zustand, der durch den Eingriff geschaffen wird und der Zustand, in dem der verfolgte Zweck als verwirklicht zu betrachten ist, in einem durch bewährte Hypothesen über die Wirklichkeit vermittelten Zusammenhang stehen.

Die Geeignetheit ist m.E. aus verschiedenen Gründen zu verneinen:
Selbst wenn der aus Sicht der USA positivste denkbare Fall eintreten würde, dann wäre Bin Laden getötet oder gefangen; gleiches gilt für die führenden Köpfe seiner Organisation. Weiter wäre in diesem Falle jegliche Infrastruktur der Terroristen – also insbesondere auch deren Ausbildungslager – zerstört.
Weiterhin bestünde jedoch die 2. Ebene der Organisation. Das Gedankengut würde weiter existieren (allenfalls – soweit möglich – noch weiter radikalisiert). Es wären „Märtyrer“ geschaffen worden. Das „Fußvolk“ der Bewegung würde weitermachen, in Afghanistan oder in einem der problematischen Länder im Großraum. Die Infrastruktur wäre schnell wieder errichtet.

Gleichzeitig bringt ein hierzu erforderliches Bombardement über mehrere Wochen oder länger mit erheblichen Schäden und einer größeren Anzahl von Toten und Verletzten den Terroristen dieser Motivationsrichtung entsprechend der genannten Annahme eine große Zahl neuer Sympathisanten. Verbunden mit der Schaffung von Märtyrern ist letztlich eher von einer Stärkung der Bewegung als von deren Schwächung oder gar Zerschlagung auszugehen.

Weiter wird der bestehende Haß auf die USA durch diese Angriffe weithin verstärkt. Auch dies spricht eher dafür, dass zukünftig mit mehr terroristischen Angriffen gerechnet werden muss und nicht mit weniger.

Wenn dies aber der Fall ist, dann ist die Bombardierung (Mittel) eben nicht geeignet den Terrorismus zu bekämpfen bzw. sich präventiv gegen neue Terrorattacken zu verteidigen (Zweck).

Notwendigkeit bedeutet, dass es keinen anderen Zustand gibt, der ebenfalls mit gleichem Aufwand geschaffen werden kann, der für die Betroffenen weniger belastend ist, und der mit dem Zustand, in dem der verfolgte Zweck als verwirklicht zu betrachten ist, ebenfalls in einem durch bewährte Hypothesen über die Wirklichkeit vermittelten Zusammenhang steht.

Eine eingehendere Prüfung erübrigt sich hier, da ungeeignete Maßnahmen bereits logisch nicht notwendig sein können.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sehr wohl alternative Maßnahmen gegenüber einer Bombardierung denkbar sind, die die Betroffenen und die Mitbetroffenen weniger belasten. Hier sind nur stichpunktartig zu nennen:

– die auch bereits eingeleiteten Maßnahmen gegen die Finanzmittel von Terrorvereinigungen
– zivile Konfliktlösungsmaßnahmen
– ein deutliches Vorgehen gegen Unterentwicklung, fehlende Bildung und eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung
– ein Unterlassen von Rüstungsexporten
– das Vorantreiben einer Trennung von Kirche und Staat und die Unterstützung entsprechender Organisationen und Bestrebungen
– eine Lösung des Palästinakonfliktes
– usw. …

Solange all dies nicht entschieden vorangetrieben worden ist, kann von vorneherein nicht von einer Erforderlichkeit oder Notwendigkeit von Bombardierungen gesprochen werden. Dieser Prüfungspunkt der Verhältnismäßigkeit erfordert den Einsatz des „mildesten“ gleich geeigneten Mittels. Dies ist bei einer Dauerbombardierung mit einer Vielzahl ziviler Opfer (siehe Annahmen) und einem hohen volkswirtschaftlichen Schaden nicht ernsthaft anzunehmen.

Zuletzt wäre grundsätzlich noch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oder Angemessenheit zu prüfen. Dies bedeutet, dass der Eingriff, bzw. die Beeinträchtigung, die der Eingriff für den einzelnen bedeutet, und der mit dem Eingriff verfolgte Zweck in einem recht gewichteten und wohl abgewogenen Verhältnis zueinander stehen.

Dies entfällt an dieser Stelle wegen der Verneinung der vorigen Prüfungspunkte. Letztlich wäre hier eine Gewichtung und Abwägung der betroffenen Belange vorzunehmen. Dies bedeutet, dass das Interesse der USA und gegebenenfalls des von ihnen geschaffenen „Bündnisses“ auf Schutz vor terroristischen Angriffen gegen das Interesse der Bevölkerung von Afghanistan auf ein Unterlassen der Bombardierung, bzw. die jeweils zugrunde liegenden Rechtsgüter, wie – jeweils – die Unversehrtheit von Leben bzw. Gesundheit und der Schtuz des Eigentums abzuwägen.

Auch hier bleibt nicht außer Betracht wie geeignet die ergriffene Maßnahme ist. Je weniger dies der Fall ist, desto geringer ist auch das Interesse an ihrer Durchführung zu gewichten. Abgesehen hiervon wäre (spätestens) an dieser Stelle natürlich die vermutlich steigende Zahl ziviler Opfer in die Abwägung einzubeziehen. Nachdem das Leben afghanischer Menschen selbstverständlich in gleicher Weise wertvoll ist wie das US-amerikanischer und sicherlich letztlich nicht die der Vergleich absoluter Opferzahlen entscheidend sein kann, würde m. E. auch eine Angemessenheit nicht zu bejahen sein. Eine abweichende Meinung mag hier – wie immer bei Wertungsfragen – aber zu vertreten sein.

Nachdem es zu einer Bejahung der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist, dass sämtliche Voraussetzungen (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit) gegeben sind und dies, wie dargelegt, nicht der Fall ist, sind meines Erachtens die gegenwärtigen Bombardements, weil unverhältnismäßig, nicht gerechtfertigt als präventive Verteidigungsmaßnahme gegen Terrorismus.

Philipp Körblein, 15.10.2001
Kontakt: mailto:pkoerble@gmx.de

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