IMI: Der Mythos der sauberen Kommandounternehmen oder was ist das Kommando Spezialkräfte?

von: 6. Oktober 2001

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von Tobias Pflüger (IMI)

1. KSK-Soldaten als Soldaten des „sauberen Krieges“?

Die US-Regierung habe eine Voranfrage bei der Bundesregierung gestellt, ob das Kommando Spezialkräfte (KSK) bei dem „Krieg gegen den Terrorismus“ behilflich sein könnte. So zumindest von der Bundesregierung undementierte Pressemeldungen. Dementiert wurde lediglich am […], daß die deutschen Kommandosoldaten schon auf dem Weg nach Afghanistan seien.

Eine Kommandoaktion gegen Terroristen können sich viele vorstellen. Die ersten früheren Kriegsgegner/innen, wie Bärbel Höhn (Bündnis 90 / Die Grünen) oder Gregor Gysi und Dietmar Bartsch von der PDS unterstützen presseöffentlich solche Kommandounternehmen auch von Bundeswehrtruppen. Hoffentlich sagen sie das nur, weil sie nicht richtig informiert sind darüber, was Kommandounternehmen überhaupt sind.

Die Regierenden sagen, es kommt ein langer Krieg. Damit ist zu rechnen. Doch dieser lange Krieg tut so, als ob er keiner sei. Spezialtruppen aus den USA und Großbritannien agieren schon heute (01.10.2001) in Afghanistan. Uns wird – via der meisten Medien – vermittelt Kommandoaktionen seien eine problemlose Sache. Dem ist nicht so.

Der KSK-Kommandeur Brigadegeneral Reinhard Günzel hat in einem eindrücklichen Interview mit „Spiegel-online“ (kaum jemand bekommt sonst ein Interview mit dem KSK!) gesagt, er hielte eine Ergreifung Bin Ladens „ohne erhebliche eigene Verluste in Kauf zu nehmen, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt für so gut wie unmöglich“. „Dies sei unter Spezialkräften Amerikas, Israels, Frankreichs und Großbritanniens weitgehend übereinstimmende Auffassung.“ Er befürchte bei einem KSK-Einsatz in Afghanistan ein Blutbad.

Saubere Kommandounternehmen sind ein Mythos, sie sind nur eine weniger öffentliche Form der Kriegsführung. Blutig sind sie allemal. Der lange Krieg sieht nicht aus wie Krieg, ist es aber.

2. Das Kommando Spezialkräfte kann schon jetzt eingesetzt werden

Bundesregierung und Bundestag wollen entsprechend ihrer Beschlüsse, daß die Bundeswehr an militärischen Vergeltungsaktionen teilnimmt. Dazu wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt: Zuerst gab es einen Bundestagsbeschluß, der im Grunde genommen alles offen läßt und später wird dann ein weiterer „nachgeschoben“.

Im jetzigen Bundestags-Beschluß heißt es bzgl. einer Unterstützung der USA u.a.: „Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Über diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Verantwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entscheiden.“ Diese Satz ist es wert genau analysiert zu werden. Die meisten interpretierten diesen Satz so, daß er noch nicht einen Beschluß über einen Einsatz der Bundeswehr bedeute. Dem ist leider nicht so. Denn es ist der Einsatz der Elitekampftruppe „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) geplant.

Diese KSK-Truppe wurde schon mehrfach ohne Parlamentsbeschluß z.B. in Bosnien und im Kosovo eingesetzt. Nun also Afghanistan? Vom Justizministerium hieß es, daß die vom Bundesverfassungsgericht für Bundeswehreinsätze formulierte Ausnahmeregelung „bei Gefahr im Verzug“ sich auf solche Fälle wie die jetzt drohenden KSK-Einsätze und die damit einhergehende mögliche Gefährdung der eingesetzten Soldaten beziehe. Das ist zwar eine Uminterpretation des Verfassungsgerichtsurteils, aber wen interessiert das jetzt schon? Rudolf Scharping besteht darauf, daß ein Einsatz von Bundeswehrtruppen auch ohne vorherige Zustimmung des Bundestages möglich sein soll, wenn dies militärisch notwendig wäre.

Derzeit (01.10.2001) sind nach Angaben von Rudolf Scharping sogenannte zivil-militärische „Krisenunterstützungsteams“ mit Beteiligung von Bundeswehrsoldaten bei Botschaften verschiedener Länder u.a. in Pakistan stationiert worden. Die Aufgaben dieser „Krisenunterstützungsteams“ bestünde im Schutz des Botschaftspersonals. Diese beteiligten Bundeswehrsoldaten könnten jedoch zu Kampftruppen „umgewandelt“ werden.

Ein Einsatz des Kommando Spezialkräfte ist also jederzeit möglich. Vielleicht sind schon einzelne KSK-Soldaten in Pakistan oder Afghanistan. die us-amerikanische und britische Regierung das KSK anfordern, die Bundesregierung würde sofort KSK-Soldaten zur Verfügung stellen.

Vermutlich ist zuerst mit Kommandounternehmen (wahrscheinlich vorläufig nicht mit Beteiligung von Bundeswehrsoldaten) – wie von KSK-Kommandeur Reinhard Günzel beschrieben – zu rechnen. Diesen Kommandounternehmen könnten Flugzeugangriffe folgen.

3.. Aber was ist das Kommando Spezialkräfte (KSK) eigentlich? Und seit wann gibt es das KSK?

Die Zeitung „Die Welt“ nannte die Truppe eine „Para-Kommando-Brigade für den Guerillakampf“. In Militärzeitschriften wird beschrieben wie sie kämpfen soll: Die Elitetruppe soll „mit ihren Spezialwaffen hinter den feindlichen Linien abspringen, gegnerische Kommunikationsnetze zerstören oder militärische Hauptquartiere im Hinterland lahmlegen“. „Das Agieren aus dem Hinterhalt sowie das Vorgehen nach Handstreichmanier“ wurde geübt, ebenso der „Umgang mit Sprengmitteln, Nah- und Häuserkampf“. Das Kommando Spezialkräfte hat seien Sitz in Calw. Das KSK ist die Symboltruppe für die Entwicklung hin zu einer neuen Interventions-Bundeswehr.

Vom Kommando Spezialkräfte ist seit der Rettung von Mitarbeitern der Deutschen Welle aus Kigali 1994 öffentlich immer wieder die Rede, doch die Planungen reichen weiter zurück: So schrieb die Zeitung „DIE WELT“ im Jahre 1995, daß „bislang ohne viel öffentliches Rampenlicht, schon seit Jahren experimentiert“ werde an einem Kommando Spezialkräfte. Die Planungen für diese reine Elitekampftruppe der Bundeswehr wurden dem Bundestag aber erst am 15.03.1995 vorgelegt und zwar im Rahmen des damaligen Ressortkonzeptes. Mit dem damaligen Ressortkonzept wurde der erste Teil der Umstrukturierung der Bundeswehr umgesetzt. Das Kommando Spezialkräfte wurde dabei en passant politisch auf kaltem Wege eingeführt und kaum einer hatte es gemerkt.

Das Kommando Spezialkräfte besteht aus 1.000 Soldaten, davon sind 850 Berufs- und Zeitsoldaten (also 85 %) und nur 150 Wehrpflichtige, die als Fahrer, Bürokräfte und Küchenhilfen eingesetzt werden. Das Kommando Spezialkräfte ist Teil der Krisenreaktionskräfte, die zu 80 % aus Berufs- und Zeitsoldaten bestehen.

Die Truppe ist aufgeteilt in 4 Kommandokompanien, jeweils eine Stabs- und eine Fernspähkompanie, eine Unterstützungskompanie, dazu gibt es ein Ausbildungs- und Versuchszentrum. Der Kern der Truppe für den eigentlichen Kampf sind die vier Kommandokompanien, die jeweils ca. 80 Mann stark sind und wiederum aus Führungsgruppe und je vier Zügen zu vier Kommandotrupps mit je vier Soldaten bestehen. „Die Züge dagegen werden sich voneinander durch ihre Spezialisierung auf unterschiedliche Formen des Eindringens (Infiltration) in das gegnerische Gebiet unterscheiden. Der jeweils erste Zug wird spezialisiert auf das Eindringen zu Land, der zweite auf vertikales Eindringen aus der Luft. In den dritten Zügen werden die Spezialisten für amphibische Operationen zusammengefaßt, in den vierten Zügen die für den Kampf im Gebirge und unter arktischen Bedingungen.“ Die zweite wichtige Komponente des Kommando Spezialkräfte sind Soldaten im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik. Der offizielle Auftrag des Kommando Spezialkräfte ist:
„- Gewinnung von Schlüsselinformationen in Krisen- und Konfliktgebieten
– Schutz eigener Kräfte auf Distanz und Schutz von Personen in besonderer Lage
– Rettung und Evakuierung deutscher Staatsbürger in besonderer Lage
– Abwehr terroristischer Bedrohung, Kampf gegen subversive Kräfte sowie verdeckte Operationen im Aufgabenbereich der Streitkräfte
– Kampfeinsätze auch im gegnerischen Gebiet, einschließlich Lähmung und Zerstörung wichtiger Objekte“.

Öffentlich bekannt wurde bisher als (Haupt-)Aufgabe des Kommando Spezialkräfte vor allem die „Rettung Deutscher im Ausland“.

Die Einsatzbereitschaft des Kommando Spezialkräfte wurde mit oberster Priorität vorangetrieben. Damit das Kommando Spezialkräfte in den Krieg ziehen kann, brauchte die neue Truppe modernste Ausrüstung: Neben Splitterschutzwesten und Nachtsichtgeräten auch eine Weste mit speziellen Haltevorrichtungen, Magazintaschen mit besonderen Zugriffsmöglichkeiten und einem Mikrofon, das mit der Bewegung der Lippen angeschaltet werden kann. Auch Projekte im Kommunikationsbereich (dort liegt eindeutig der Schwerpunkt) und die persönliche (Waffen-)Ausrüstung der Soldaten – dazu zählen auch Blendgranaten und Scharfschützenwaffen – wurden für die Calwer angeschafft. Doch auch die neuen Großgeräte der Bundeswehr sollen als erstes in Calw zum Einsatz kommen: Der neue Kampfhubschrauber Tiger und der neue Transporthubschrauber NH 90 sind hier zentrale Kampfinstrumente.

Hans Arnold, ehemaliger Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Italien und den Niederlanden, schreibt, daß die „Aufstellung und Aufgabenstellung“ der Krisenreaktionskräfte und insbesondere des Kommando Spezialkräfte „politisch, militärisch und unter ethischen Gesichtspunkten die Qualität einer zweiten Wiederbewaffnung“ haben.

Die damalige Bundesregierung ließ die Bevölkerung, über ihre eigentlichen Absichten uninformiert: „Bis April 1997 soll es so weit sein, daß er [der erste Kommandozug des Kommando Spezialkräfte] `Festgehaltene retten und befreien` kann, wie die Verantwortlichen bewußt verschleiernd formulieren“, so stand es in der ehemaligen Militärzeitschrift Truppenpraxis, die genau von diesen „Verantwortlichen“ herausgegeben wurde, vom Verteidigungsministerium.

4. Das KSK und die „KSK light“-Truppen: Die neue Division spezielle Operationen (DSO)

So wie 1996 mit dem Ressortkonzept das Kommando Spezialkräfte eingeführt wurde, wurde im Rahmen des neuen Ressortkonzeptes des Jahres 2000 die 7.400 Mann starke „Division spezielle Operationen“ (DSO) gegründet. Die DSO entsteht aus den bisherigen Luftlandebrigaden 31 in Oldenburg, 26 in Saarlouis und dem KSK. Aufgabenstellung und Zuschnitt der DSO-Einheiten, die von Regensburg aus kommandiert werden, dort sitzt der Stab, sind denen des KSK nachempfunden. Insofern sind die DSO-Truppen quasi „KSK light“-Truppen.

Mit einem DSO-Truppen-Einsatz ist ebenso wie mit dem des Kommando Spezialkräfte zu rechnen. Beides sind reine Kampftruppen. Die Einsatzbeschreibungen in Militärzeitschriften klingen sehr nach dem, was jetzt von der US-Regierung in Afghanistan geplant wird: „Auch wenn sich die militärische Führung aus Gründen der Geheimhaltung bedeckt hält, mögliche Einsatzoptionen der Spezialkräfte öffentlich zu nennen, dürfen das Ausschalten von Kommandozentralen und wichtigen Fernmeldeeinrichtungen in der Tiefe des gegnerischen Gebiets sowie das Gewinnen strategisch und operativ wichtiger Nachrichten über die absichten eines Gegners die klassischen Ziele von Kommandounternehmen sein.“

Es gibt zwei Optionen für Kommandounternehmen in Afghanistan: Befreiung der „Shelter Now“-Mitarbeiter/innen bei gleichzeitigem Töten der Bewacher und Angriff auf den schwerbewachten Osama bin Laden.

Was auf politischer Ebene diskutiert wird, kann man nur als „Mythos der sauberen Kommandounternehmen“ bezeichnen, der KSK-Kommandeur Reinhard Günzel weiß es besser: Er ist jetzt abgemahnt worden und verliert wohl seinen Job, weil er ehrlich ausgeplaudert hat, was „übereinstimmende Auffassung“ ist „unter Spezialkräften Amerikas, Israels, Frankreichs und Großbritanniens“: Diese Kommandounternehmen würden in einem Blutbad enden.

* Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler, Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
(Bei IMI gibt es weitere Informationen zum Kommando Spezialkräfte, zur Militarisierung der Europäischen Union, zur Bundeswehrentwicklung, zur NATO und zukünftigen Kriegen: IMI: Hechingerstrasse 203, 72072 Tübingen, Telefon: 07071-49154, Fax: 07071-49159, e-mail: IMI@imi-online.de Internet: https://www.imi-online.de)