IMI / Presse: Was diskutiert die Friedensbewegung?

von: 12. September 2001

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jW sprach mit Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen

F: Wer auch immer hinter den Anschlägen in den USA gesteckt haben mag, zu befürchten ist, daß sie das Rad der Gewalt ein beachtliches Stück weiterdrehen werden. Was können Antimilitaristen gegen eine Brutalisierung der sozialen und politischen Auseinandersetzung ausrichten?

Ganz wichtig ist, jetzt einen kühlen Kopf zu bewahren und zu hoffen, daß die US-Regierung nicht auf diese brutalen Anschläge mit Krieg reagiert. Es ist vollkommen klar, daß wenn jetzt die USA z. B. in Afghanistan bombardiert, die gesamte weltpolitische Situation verschärft wird und Gewalt noch mehr zu einem Mittel der Politik wird, als sie schon jetzt ist.

F: Welche Möglichkeiten haben Friedensinitiativen oder auch andere soziale Gruppen, da einzuwirken? Wir sehen im Moment einen der schrecklichsten Beweise, daß Gewalt und Gegengewalt sich gegenseitig bedingen. Auf diesen Sachverhalt hinzuweisen, denke ich, ist ziemlich wichtig. Dabei darf allerdings nicht der Eindruck entstehen, es gäbe irgendeine Rechtfertigung für das Geschehene. Ich denke, daß es leider kein Zufall ist, daß die USA und dort das World Trade Center und das Pentagon ausgesucht wurden. Die Frage nach den Motiven der Irren, die diesen Anschlag verübt haben, ist notwendig. Man sollte ganz klar benennen, daß die Politik der westlichen Staaten, die von ihnen betriebene Globalisierung, ihre Opfer hat. Es ist eigentlich schon von vielen damit gerechnet worden, daß „mal zurückgeschlagen wird“. Daß es aber auf diese brutale und überaus tragische Art und Weise passiert, die im Grunde genommen einen Einschnitt in der Weltpolitik bedeutet, damit habe ich nicht gerechnet. Seitens der Regierenden heißt es jetzt, die „Freiheit“ müsse verteidigt werden. Es ist aber immer nur die Freiheit des Handels und nicht die Freiheit von Menschen gemeint. Andererseits habe ich das Gefühl, daß so mancher noch nicht die Wahnsinns-Dimension dessen begriffen hat, was bei diesen Megaanschlägen passiert ist.

F: Daß da nun wirklich „zurückgeschlagen“ wurde, ist erst mal eine reine Hypothese, wenn auch eine naheliegende.

Ja, es ist vollkommen unklar, wer die Täter sind. Gleichzeitig wird aber quasi der Krieg schon vorbereitet. Das ist eine ganz schreckliche Situation. F: Gehen wir mal davon aus, daß da wirklich irgend jemand „zurückgeschlagen“ hat, dann wäre immer noch die Frage, wie können soziale Bewegungen in den USA, in Europa oder auch in den Trikontländern darauf einwirken, daß die Auseinandersetzung nicht weiter eskaliert – auch von der anderen Seite her.

Das große Problem ist, daß diejenigen, die diese Megaanschläge verübt haben, vermutlich nicht für Argumente aufgeschlossen sind. D.h. es gibt hier kaum Handlungsmöglichkeiten für Bewegungen. Das ist auch der Punkt, der viele ratlos macht. Aber bei Regierungen ist das anders. Die sind empfindlich, sie müssen darauf achten, Unterstützung in der Bevölkerung zu haben. Wir müssen uns jetzt überlegen, was eine angemessene Reaktionsmöglichkeit auf das ist, was jetzt passiert: Wir trauern um die Opfer. Das ist ein ganz zentrales Moment. Dann muß man sich überlegen, wieso konnte es zu so etwas kommen und welche politischen Implikationen hat das Ganze. Was wir im Moment erleben ist, daß der Anschlag sehr unpolitisch dargestellt wird. Aber es gibt wohl eine politische Motivation bei den Tätern.

F: Gibt es Diskussionen innerhalb der Friedensbewegung, wie auf die drohende militärische Antwort reagiert werden kann?

Wir müssen auf die Bundesregierung einwirken. Es muß der Öffentlichkeit klargemacht werden, daß, wenn die US- Regierung mit dem zu erwartenden Megaschlag gegen wen auch immer reagiert, dies eine absolute Eskalation der weltpolitischen Situation ist. Und deshalb müssen wir ganz dringend an die Bundesregierung und an die US-Regierung appellieren, daß keine Kriege geführt werden.

F: Befürchten Sie Rückwirkungen der Anschläge auf die sozialen Bewegungen in den USA und vielleicht auch hierzulande?

Ja. Es besteht die große Gefahr, daß alle, die eine berechtigte Kritik an der US-Politik haben, in die Nähe derjenigen gestellt werden, die diese terroristischen Megaanschläge ausgeführt haben. Der gesamte politische Diskurs in den USA könnte auf diese Weise total verschärft werden. Wir könnten eine Situation haben, daß Menschen arabischer Herkunft als Gesamtgruppe verantwortlich gemacht werden für den Anschlag.

In Deutschland ist die Bundeswehr in Alarmbereitschaft gesetzt worden, ebenso die gesamte Polizei. Die Gefahr ist, daß insgesamt ein deutlich repressiveres Klima entsteht. Darunter werden natürlich vor allem die oppositionellen Gruppen leiden.

F: Geraten mit der linken Kritik an den USA nicht die Bundesregierung und die hier laufenden Aufrüstungsmaßnahmen aus der Schußlinie?

Wir haben ganz bewußt den Ansatz, Militarisierung, egal in welchem Kontext, zu kritisieren. Ganz wesentlich ist da immer die eigene Regierung. Die Reaktion der hiesigen Regierung zeigt, daß sie den Schulterschluß mit den USA sucht.

Unser Ansatzpunkt muß sein, solidarisch mit denjenigen zu sein, die von diesen Megaanschlägen betroffen sind. Was nicht sein darf, ist, daß man jetzt die US-Politik oder die bundesdeutsche Politik nicht mehr kritisiert. Ich denke, wir werden in Zukunft noch mehr Anlässe für Kritik haben.

Interview: Wolfgang Pomrehn

Original unter: http://www.jungewelt.de/2001/09-13/018.shtml

Zum Download: http://www.imi-ev.de/download/jw-usa-terror-tp.pdf
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