„Was haben Fischers Militanz, die neue grüne Ministerin und die DU-Munition gemeinsam?“,

von: 11. Januar 2001

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Die Schlagzeilen zu Beginn des Jahres 2001 in Deutschland werden
beherrscht
– von zwei wegen BSE zurückgetretenen Bundesminister/inn/en (für
Landwirtschaft und Gesundheit),
– von einem Außenminister, der sich für seine militante Vergangenheit
rechtfertigen muß und
– insbesondere von den endlich in den Medien thematisierten Gefährdungen
durch die von der NATO im Krieg gegen Jugoslawien eingesetzten Geschosse
mit abgereicherten Uran-238, die sogenannte DU (depleted
uranium)-Munition.

Wegen BSE zurückgetretene Bundesminister/inn/en und eine darf es nicht
werden

Es wurde nicht etwa die zweifelsohne inhaltlich qualifiziertere Bärbel
Höhn als Landwirtschaftsministerin von Bündnis 90 / Die Grünen
nominiert, sondern Renate Künast. In Agenturmeldungen wird der Grund
zitiert: „Zur Entscheidung für Künast anstelle der auch als potentielle
Kandidatin genannten nordrheinwestfälischen Umwelt- und
Gesundheitsministerin Bärbel Höhn sagte ein hochrangiger
Grünen-Politiker: „Bielefeld ist nicht vergessen“. Auf dem
Sonderparteitag der Grünen zum Kosovo-Einsatz der Bundeswehr hatte sich
Höhn gegen die Linie von Außenminister Fischer gestellt, dem
Bundeswehreinsatz zuzustimmen.“ (Reuters 10.01.2001, 10.55 Uhr) Soweit
die Agenturmeldung. Noch eineinhalb Jahre nach der Entscheidung der
Grünen für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien haben Kriegsgegner/innen –
wie Bärbel Höhn – offensichtlich keine Chance Bundesminister/innen zu
werden. Loyalität, Befürwortung und Unterstützung der damaligen (und
zukunftigen??) Kriegsentscheidung(en) ist also zentral.

Der (ehemals?) militante Außenminister

Es tauchen alte Bilder auf, die wohl Joschka Fischer als
polizistenprügelnden „Strassenkämpfer“ in den 70er Jahren zeigen.
Fischers militante Vergangenheit holt ihn offensichtlich ein. Es kommen
Rücktrittsforderungen aus dem konservativen Lager, doch die dominanten
Medien der Republik nehmen Fischer dagegen sichtlich in Schutz. In der
FAZ findet sich eine interessante Erklärung hierfür (danke an Rüdigel
Göbel für den Lesetip!): „Den Fotos des Prüglers muß man die Fotos des
Außenministers gegenüberstellen. Nicht daß Fischer Gründe gehabt haben
mag – und welche mögen das gewesen sein? -, birgt, um ein Modewort der
Achtundsechziger zu zitieren, einen „Choc“ der Erkenntnis, sondern die
Tatsache, daß dieser Motorrad-Prügler fünfundzwanzig Jahre später als
deutscher Außenminister einen Krieg mitbefehligen wird – eine äußere
militärische Intervention, die ohne ihn und seine Geschichte vermutlich
zu einem bürgerkriegsähnlichen Notstand im Innern geführt hätte.“ Und
später: „Die Faszination dieser Metamorphose erklärt, warum die Nation
so tut, als habe sie jetzt erst begriffen, wer ihr Vizekanzler ist.“

Und Frank Schirrmacher bringt es in der FAZ auf den Punkt: „Es war doch
gerade das Spezifische dieser Biographie, die dazu verhalf, den inneren
Frieden zu bewahren, als im Kosovo militärisch eingegriffen wurde.“
„Tatsächlich begreifen viele erst jetzt, wer Fischer ist.“

Die Rolle Fischers und derjenigen, die ähnlich denken und agieren wie
er, beschreibt Schirrmacher genial. Doch er muß korrigierend ergänzt
werden: Fischer hat sich hier einer Geschichte bemächtigt, die nie seine
Geschichte war. Vielleicht wurde ihm diese Geschichte auch nur
zugeschlagen. Fischer war nie Pazifist, nie Militärkritiker, Fischer
stand nie für die Friedensbewegung. Fischer hat jedenfalls diese
Geschichte zur Kriegsbegründung instrumentalisiert und damit einen
großen Teil derjenigen mundtot oder sprachlos gemacht, deren Geschichte
die Friedensbewegung wirklich war. Die Fragen der Friedensbewegung, die
Fragen der Überlebensbewegung waren nie die Fragen von Fischer und Co..
Wir müssen uns unsere Geschichte wieder zurückholen!

Joschka Fischer war schon immer ein Militanter, damals als
„Strassenkämpfer“ und 1999 als kriegrechtfertigender und – zustimmender
Außenminister. Nur heute sind die Auswirkungen um ein vielfaches
verschärft. Fischers angebliche Geschichte wurde benötigt um die
„Heimatfront“ zu verunsichern und still zu halten. „Es war doch gerade
das Spezifische dieser Biographie, die dazu verhalf, den inneren Frieden
zu bewahren, als im Kosovo militärisch eingegriffen wurde.“ (FAZ) Oder
übersetzt: Fischer (und Co.) waren die deutsche Notwendigkeit, um
kriegsfähig zu werden und nun zu sein. Damit wären wir beim
Jugoslawienkrieg und bei der DU-Munition.

‚Soldaten sind „unsere“ Leute‘

Leider konzentriert sich die offizielle Debatte über die DU-Munition
(zu) sehr auf die Gefährdungen der Soldat/inn/en, schließlich so hört
man es fast sagen, sind ja ‚Soldaten „unsere“ Leute‘.

Es ist viel zu wenig über mögliche Gefahren für die Zivilbevölkerung die
Rede. Auf die Folgen des Einsatzes von Geschossen mit abgereicherten
Uran-238, die sogenannte DU (depleted uranium)-Munition haben Gruppen
der Friedens- und Antikriegsbewegung seit dem Beginn des Krieges gegen
Jugoslawien hingewiesen, seit dem Golfkrieg sind die Auswirkungen
bekannt. Eineinhalb Jahre wurden die fundierten Berichte zu DU-Munition
in den dominanten Medien fast ignoriert, jetzt wird plötzlich umfassend
berichtet. Das läßt tief blicken auf die „Nachrichtenwirtschaft“.

Die Antwort auf die Eingangsfrage: „Was haben Fischers Militanz, die
neue grüne Ministerin und die DU-Munition gemeinsam?“ muß wohl denn
lauten: Überall spielt die Militärpolitik deutlich mit hinein!

Tobias Pflüger