Neues Buch mit Beteiligung der IMI-Vertreter/inn/en Tobias Pflüger und Lühr Henken am 15.09.2000 im VSA-Verlag erschienen:

Ulrich Cremer/Dieter S. Lutz (Hrsg.): Die Bundeswehr in der neuen Weltordnung

von: | Veröffentlicht am: 15. September 2000

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Ulrich Cremer/Dieter S. Lutz (Hrsg.)
Die Bundeswehr in der neuen Weltordnung
208 Seiten; DM 26,80; öS 196,-; sfr 25,-
ISBN 3-87975-793-3

Bestellungen über den Buchhandel, per e-mail über die Informationsstelle Militarisierung: imi@imi-online.de, Amazon oder beim VSA-Verlag: info@vsa-verlag.de (VSA-Verlag im Internet: www.vsa-verlag.de)

Eine fundierte Analyse der aktuellen Debatte um die Bundeswehr-Reorganisation und die Wehrpflicht aus engagierter friedenspolitischer Perspektive sowie Bestandsaufnahmen der politischen Diskussion über Wirtschaftssanktionen.

Ulrich Cremer ist Autor des Buches »Neue NATO � neue Kriege?«. Er war bis Februar 1999 Sprecher des Fachbereichs Außenpolitik bei BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und Initiator der GRÜNEN Anti-Kriegs-Initiative.

Dieter S. Lutz ist Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Bevor eine öffentliche Diskussion über die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland beginnen konnte, wussten Scharping und die Bundesregierung schon, wie die Bundeswehr in Zukunft auszusehen habe. Das Kabinett beschloss im Juni 2000, die Bundeswehr auf 277.000 Soldaten zu verkleinern, dabei aber die Krisenreaktionskräfte von 66.000 auf 150.000 aufzustocken und die Wehrpflicht beizubehalten.

Die AutorInnen dieses Buches wollen die verdrängte, gleichwohl dringend notwendige Diskussion über die Rolle des Militärs in Deutschland befördern. Das Resultat der Analysen und Bewertungen: Die 2000er Bundeswehrreform bedeutet eine wichtige Weichenstellung, die Bundeswehr wird interventionsfähig oder »kriegsführungsfähig« gemacht.

Notwendig, wenngleich bislang noch zu sehr in der politischen Defensive, ist dagegen eine Debatte, ob nicht eine nicht-angriffsfähige bzw. angriffsunfähige Armee die richtige Lösung für die gegenwärtige sicherheitspolitische Lage wäre.

Überlegungen zum Thema »Wirtschaftssanktionen« � als Alternativen für eine langfristig antimilitärische Sicherung des Weltfriedens durch eine bundesdeutsche Außenpolitik, die sich wesentlich als ziviler Akteur versteht � beschließen diesen Band.

Inhalt

Ulrich Cremer/Dieter S. Lutz
Vorwort

Die neue Weltordnung

Ulrich Cremer
Die neue NATO-Strategie

Reinhard Mutz
Europa unter falscher Flagge

Ulrich Cremer
Militärische Emanzipationsversuche der EU

Götz Neuneck/Jürgen Scheffran
Abrüstung am Ende?
Zur Kontroverse um die neuen Raketenabwehrpläne der USA

Dieter Engels
Europäische Pläne zur militärischen Nutzung des Weltraums

Stefan Gose
Vaterlandslose Allianzen
Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie

Die neue, interventionsfähige Bundeswehr

Tobias Pflüger
Bundeswehr 2005 � bereit für die nächsten Kriege in aller Welt

Angelika Beer
Erneuerung von Grund auf?
Welche Rolle spielt in der Debatte die Wehrpflicht?

Dieter S. Lutz
Vom Unrecht des Zwangsdienstes ohne sicherheitspolitische Notwendigkeit

Ulrich Albrecht
Nachdenken über Militär in Deutschland

Lühr Henken
Mit neuen Waffen in die nächsten Kriege

Hans Joachim Gießmann
Gute Waffen, schlechte Waffen?
Der Streit um Rüstungsexporte

Astrid Albrecht-Heide
Die Bundeswehr im Spannungsfeld von Sexismus, Rassismus und Klassismus

Sibylle Raasch
Krieg auch mit den Waffen der Frau?

Alternativen: Debatte um Wirtschaftssanktionen

Ulrich Cremer
Sanktionshilfefonds � der effektive Weg zu Wirtschaftssanktionen

Hans von Sponeck
Sanktionen: Die ganze Logik stimmt nicht

Norbert Mappes-Niediek
Sanktionen schrecken nicht den eigentlichen Adressaten, wohl aber potenzielle Nachahmer ab
Das Beispiel Jugoslawien

Die Autorinnen und Autoren

Ulrich Albrecht ist Professor für Politische Wissenschaften und Friedensforscher am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

Astrid Albrecht-Heide ist Professorin an der Technischen Universität Berlin.

Angelika Beer ist verteidigungspolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.

Ulrich Cremer war (bis Februar 1999) Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden von Bündnis90/Die Grünen und Initiator der Grünen Anti-Kriegs-Initiative. Er ist Autor des Buches »Neue NATO – neue Kriege?« und arbeitet als Manager in einem internationalen Lebensmittelkonzern.

Dieter Engels ist Astronom und Mitarbeiter der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative »Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit«.

Hans Joachim Gießmann ist stellvertretender Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Stefan Gose, Dipl.Pol., ist Redakteur der Monatszeitschrift antimilitarismus information.

Lühr Henken ist Vorstandsmitglied im Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V., Abrüstungspolitischer Sprecher des Bundesausschuss Friedensratschlag Kassel, Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Tübingen.

Dieter S. Lutz ist Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

Norbert Mappes-Niediek ist Redakteur der Wochenzeitung »Freitag«.

Reinhard Mutz ist stellvertretender Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und Mitherausgeber des »Friedensgutachtens 2000«.

Götz Neuneck ist wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler, Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Tübingen, Redaktionsmitglied von »Wissenschaft und Frieden«, Autor des Buches »Die neue Bundeswehr« und promoviert über neue deutsche Militärpolitik.

Sibylle Raasch ist Rechtswissenschaftlerin an der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) in Hamburg.

Jürgen Scheffran ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der Technischen Universität Darmstadt.

Hans von Sponeck war langjähriger UN-Diplomat und trat 2000 unter Protest als »Koordinator für die humanitäre Hilfe im Irak« zurück.

Ulrich Cremer/Dieter S. Lutz
Vorwort

In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN vom Oktober 1998 heißt es: »Eine vom Bundesminister der Verteidigung … zu berufende Wehrstrukturkommission wird auf der Grundlage einer aktualisierten Bedrohungsanalyse und eines erweiterten Sicherheitsbegriffs Auftrag, Umfang, Wehrform, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte überprüfen und Optionen einer zukünftigen Bundeswehrstruktur … vorlegen.«1

Die nach ihrem Vorsitzenden benannte »Weizsäcker-Kommission« legte im Mai 2000 ihren Bericht vor. Von Kirchbach, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, wartete mit einem eigenen Papier auf.Noch bevor eine öffentliche Diskussion über die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland beginnen konnte, wussten Scharping und die Bundesregierung jedoch schon, wie die Bundeswehr in Zukunft auszusehen habe. Das Kabinett beschloss im Juni 2000, die Bundeswehr auf 277.000 Soldaten zu verkleinern, dabei aber die Krisenreaktionskräfte von 66.000 auf 150.000 aufzustocken und die Wehrpflicht beizubehalten. Wir wollen mit diesem Buch die verdrängte, gleichwohl dringend notwendige Diskussion über die Rolle des Militärs in Deutschland befördern. Die beschlossene Bundeswehr-Reform wird nicht für die Ewigkeit sein. Die Wehrpflicht wird in den nächsten Jahren wahrscheinlich auch in Deutschland fallen. Im vorliegenden Band werden verschiedene Sichtweisen derer dargestellt, die die Wehrpflicht ablehnen. Bei der Bewertung anderer Elemente der Bundeswehr-Reform sind die Beiträge durchaus kontrovers. Das Spektrum reicht von Angelika Beer, die die Bundeswehr zu »internationalem Krisenmanagement« beitragen lassen möchte, bis hin zu Tobias Pflüger, der die Teilnahme der deutschen Armee am Jugoslawien-Krieg als »Vorboten für künftige Kriegsbeteiligung« sieht.

Die 2000er Bundeswehrreform, bei der es nicht nur um Zahlen geht, bedeutet eine wichtige Weichenstellung: Die Bundeswehr wird interventionsfähig oder »kriegsführungsfähig« gemacht. Für eine Debatte, ob nicht eine nicht-angriffsfähige bzw. angriffsunfähige Armee die richtige Lösung für die gegenwärtige sicherheitspolitische Lage wäre, kann sich in der Gesellschaft kaum noch jemand begeistern. Landesverteidigung ist out, Krisenintervention steht auf der Agenda.

Die Bundeswehr-Reform steht natürlich in Zusammenhang mit der deutschen Teilnahme am völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg der NATO. Dieser war die erste Anwendung des im April 1999 verabschiedeten neuen Strategischen Konzepts der NATO. Danach reklamiert sie für sich das Recht, Kriege auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates zu führen (vgl. den Beitrag von Ulrich Cremer »Die neue NATO-Strategie«). Der NATO-Krieg hatte international wie national eine Katalysator-Funktion, machte er doch deutlich, welchen Rückstand die europäischen NATO-Staaten gegenüber den USA in puncto moderner Militärtechnik aufwiesen. Der Krieg hat die politischen Differenzen zwischen den einzelnen NATO-Mächten stärker hervortreten lassen. Die Europäische Union versucht sich unter deutsch-französischer Führung jetzt auch militärisch von den USA zu emanzipieren. Kernpunkte sind dabei die Beseitigung der EU-Defizite bei den Lufttransportkapazitäten sowie der Satellitenaufklärung (siehe dazu den Beitrag von Dieter Engels). Damit setzt ein ressourcenverschlingender Rüstungswettlauf der NATO mit sich selbst ein. Dabei geht es nicht, wie im Kalten Krieg, um Atomwaffen, die gegeneinander gerichtet werden, sondern um die konkurrierenden Potenziale, die gegen Dritte einsetzbar sind (vgl. hierzu die Beiträge von Reinhard Mutz und Ulrich Cremer »Militärische Emanzipationsversuch der EU«). Die USA, die in den nächsten Jahren ihre Militärausgaben weiter erhöhen wollen, fordern zwar von den europäischen NATO-Staaten mehr Rüstungsanstrengungen, aber eine Abkoppelung in Form einer autonomen EU-Armee wollen sie verhindern. Zweiter Konfliktpunkt zwischen EU und USA sind die US-Pläne für eine Raketenabwehr. Zwar bleibt die technische Realisierbarkeit nach dem fehlgeschlagenen Test im Juli 2000 unsicher, aber das Projekt droht geltende Rüstungskontrollregime außer Kraft zu setzen und beeinflusst das Verhältnis zu China und Russland negativ – auch wenn es sich offiziell gegen »Schurkenstaaten« wie Irak, Iran, Libyen, Jugoslawien oder Nordkorea richtet, die neuerdings etwas vornehmer »Risikoländer« genannt werden (siehe hierzu den Beitrag von Götz Neuneck und Jürgen Scheffran »Die neuen Raketenabwehrpläne der USA – Stand, Probleme und Alternativen«).

Die Diskussion um die Bundeswehr findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie ist eingebettet in internationale Entwicklungen und Entscheidungen. Die beabsichtigte Bundeswehrreform konkretisiert, was vorher in der NATO oder in der EU verabredet worden ist. Deswegen der Titel des Buches »Die Bundeswehr in der neuen Weltordnung«. »Neue Weltordnung« steht für den nach Ende des Kalten Krieges eingetretenen Zustand der Welt, in dem die NATO zum allein dominierenden Militärbündnis aufgestiegen ist und die Welt nach eigenem Gutdünken ordnet, »Strafen« verhängt und dabei auch geltendes Völkerrecht und Organisationen wie die UNO beiseite schiebt.

Die Bundeswehr soll nicht nur in ihrer Struktur verändert werden. Gleichzeitig ist die Modernisierung der Ausrüstung vorgesehen. Die entsprechenden Rüstungsprojekte stellt Lühr Henken vor. Die Weizsäcker-Kommission geht davon aus, dass dafür in den nächsten Jahren die Militärausgaben steigen müssen: »Für eine Übergangszeit bis zur Einnahme der neuen Bundeswehr-Struktur sind zusätzliche Haushaltsmittel erforderlich. Die Mittel werden zum einen gebraucht, um damit zu beginnen, die beschriebene Ausrüstungslücke zu schließen und die im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr erforderlichen Großprojekte und organisatorischen Veränderungen zu finanzieren.«2

In ihrer Koalitionsvereinbarung hatte sich die rot-grüne Regierung auch vorgenommen, »die Bemühungen um den Zusammenschluss der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie« »aktiv«3 zu unterstützen. Stefan Gose analysiert in diesem Zusammenhang die Veränderungen in der europäischen Militärindustrie, Hans Joachim Gießmann bilanziert die Rüstungsexportpolitik.

Charakteristisch für die bundesdeutsche Sicherheitspolitik ist, dass wichtige Entscheidungen nicht von der Politik, sondern von Gerichten getroffen werden. 1994 machte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Weg frei für Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr. Im Jahr 2000 entschied der Europäische Gerichtshof die Jahrzehnte alte deutsche Auseinandersetzung um die Einbeziehung von Frauen in die Armee. Bedeutet die Öffnung der Bundeswehr für Frauen eine Niederlage des Pazifismus? Zwei kontroverse Beiträge von Astrid Albrecht-Heide sowie Sibylle Raasch sollen dieses Thema beleuchten, das auch einen Zusammenhang mit der Wehrpflicht-Debatte hat. Angelika Beer geht jedenfalls davon aus, dass freiwilliger Zugang von Frauen einerseits und Wehrpflicht für Männer andererseits auf Dauer nicht vereinbar sein werden. Auch von dieser Seite gerät die Wehrpflicht unter Druck.

Militär ist nicht alternativlos, auch wenn in Deutschland die Debatten über nicht-militärische Instrumente stark unterentwickelt sind. Wir widmen daher dem Thema »Wirtschaftssanktionen« den letzten Teil dieses Buches (vgl. die Beiträge von Ulrich Cremer, Hans von Sponeck und Norbert Mappes-Niedeck).

Wir möchten mit dem vorliegenden Band verschiedene Sichtweisen vorstellen, die in der Diskussion um die Bundeswehrreform häufig nicht einbezogen sind – gerade weil von vielen eine politische Debatte über Sicherheitspolitik und die Rolle des Militärs in der Bundesrepublik Deutschland nicht gewünscht wird. Das schließt unvermeidlich ein, dass Positionen zu Wort kommen, mit denen die Herausgeber, deren eigene Positionen in Einzelfragen und deren Parteizugehörigkeit durchaus unterschiedlich sind, nicht überstimmen.

Ulrich Cremer/Dieter S. Lutz, August 2000

Anmerkungen

1 Koalitionsvereinbarung Kapitel XI, Abschnitt 9: Bundeswehr/Rüstungsexporte
2 Bericht Weizsäcker-Kommission, Ziffer 253 bzw. 254, S. 140
3 Koalitionsvereinbarung, Kapitel XI, Abschnitt 9: Bundeswehr/Rüstungsexporte